Brother Sister - Hoert uns einfach zu
irgendwohin, wo er den ganzen Tag Golf spielen und ich am Strand in der Sonne liegen, lesen und Musik hören könnte. Er nannte alle möglichen Inseln – Jamaika, St. Barts, Maui und so weiter.
Ich nickte. Und versuchte, ihn zu beruhigen, indem ich so was sagte wie: »Ja, klar, warum nicht? Das wäre bestimmt nett.« Ich wollte nur, dass er aufhörte zu reden und wieder runterkam.
Aber ich konnte tun und sagen, was ich wollte – es war völlig umsonst. Er merkte, dass ich das Ganze in Wirklichkeit anders sah. »Was ist mit dir los, Ash?«, fragte er. »Freust du dich gar nicht?«
»Doch, klar«, sagte ich, aber das stimmte nicht. Er fing an, mir Angst zu machen. Der Will, dem ich vertraute, der hilflos seinen Stimmungen ausgeliefert und oft furchtbar traurig war, weil er mit Mom und mir mitlitt, der Will, der fast über sich hinauswuchs, um auch ja das Richtige zu tun, diesen Will gab es nicht mehr. Ein durchgeknalltes Monster hatte seinen Platz eingenommen. Und dieses Monster war zwar total auf mich fixiert, aber nicht auf mein wahres Ich.
Fast wünschte ich, Mom würde aus der Entzugsklinik entlassen und wiese ihn in seine Schranken. Sie würde ihm schon klarmachen, was für ein kleiner, schwacher Junge er noch war.
Nein, das wünschte ich nicht wirklich. Aber ich wünschte definitiv, Dad wäre bei uns. Dass er wüsste, was mit uns passiert war, seit Mom ihn vertrieben hatte. Ich war mir ganz sicher: Wenn er uns jetzt sehen könnte, weil eine versteckte Kamera uns filmte, und wüsste, wie sehr wir in Not waren, würde er auf der Stelle kommen und uns helfen. Er würde einen Schutzwall um uns errichten und uns in Sicherheit bringen. Nichts wünschte ich mir sehnlicher. Ja, ich hatte richtige Sehnsucht nach ihm. Natürlich war es ganz unrealistisch, aber ich wünschte mir, dass die Haustür aufflog und er reinstürmte, um alles wieder zurechtzubiegen.
Oder so.
Als Will den Tisch abgeräumt hatte, stellte er sich hinter mich und legte mir die Hände auf die Schultern. Dann beugte er sich vor und küsste mich auf die Wange, und ich … ich weiß nicht, irgendwie war es ganz schrecklich. Es schüttelte mich regelrecht und aus Versehen stieß ich ihm mit dem Kopf gegen die Nase. Ich glaub, er wollte mir was ins Ohr flüstern, aber ich konnte ihn nicht verstehen. Ich merkte nur, dass mir ein kalter Schauer durch den ganzen Körper fuhr.
Dann fing er an, meinen verspannten Nacken zu massieren.
Noch nie im Leben hatte ich mich so einsam gefühlt.
Er rieb seine Daumen langsam kreiselnd über meine Schultern und fuhr mit den Fingerspitzen über mein Schlüsselbein.
Ich versuchte, ihn vorsichtig abzuschütteln, aber das nutzte nichts.
Schließlich stieß ich ihn richtig weg.
»Ich will das nicht«, sagte ich. »Merkst du das nicht?«
Sie hätten sein Gesicht sehen müssen! Als hätte ich ihn geohrfeigt. Oder ihm das Herz rausgerissen und über die Klippen geworfen. Er fiel regelrecht in sich zusammen. Er ging ein paar Schritte zurück und sank auf die Armlehne des Sofas. Ich dachte, er würde anfangen zu weinen.
»Tut mir leid«, sagte ich. »Ich bin … einfach überfordert.«
Ich beugte mich zu ihm rüber und drückte ihm die Hand. »Wir Wunderkinder«, sagte ich und lächelte ihn an, so gut ich konnte.
Will
Es war schön, ihren Nacken zu massieren. Die Gerüchte, die Lügen und der Zwang, nach außen hin gelassen zu wirken, hatten Asheley die ganze Woche über schwer zugesetzt, und sie war völlig verspannt. Ich spürte, wie sie losließ und ihre Muskulatur unter meinen Fingern locker wurde. Das war eine große Erleichterung für mich. Endlich machte ich mal was richtig und konnte ihr helfen.
Ich merkte, dass sie es zu schätzen wusste.
Es hätte ein toller Abend werden können. Ich hatte Hangover auf DVD ausgeliehen, denn ich wusste, dass Ash den immer schon mal sehen wollte. Ich hatte schon eine zweite Flasche Wein aus dem Keller geholt. Die besten Voraussetzungen, um sich aufs Sofa zu lümmeln und richtig abzulachen. Zur Abwechslung wieder mal ein ganz normaler Abend. Bestimmt wäre es richtig kuschelig geworden. Ich freute mich total darauf.
Aber dann wurde nichts daraus. Denn wer musste ausgerechnet in diesem Moment auftauchen? Keith natürlich! Als hätte eine Warnleuchte bei ihm geblinkt: Gefahr! Gefahr! Da wird’s jetzt gemütlich! Also musste er gleich los und uns den Abend versauen.
Er rumorte in der Küche rum, nahm sich eine Portion Risotto, stellte das Sixpack alkoholfreies Bier, das er
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