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Brother Sister - Hoert uns einfach zu

Brother Sister - Hoert uns einfach zu

Titel: Brother Sister - Hoert uns einfach zu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sean Olin
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dass ich mit Keith so dasaß? Aber als ich durch die Terrassentür sah, saß er noch genauso da wie vorher und grübelte. Er starrte auf den Fernseher und schien völlig in düstere Gedanken versunken zu sein.
    Keith sah, dass ich mich umschaute, und folgte meinem Blick. »Sollen wir ein Stück spazieren gehen?«, fragte er.
    Wieder nickte ich. Nur wo sollten wir hin? Der Waldweg? Die Klippen? Beides hätte ich nicht ertragen. »Lass uns einfach in den Garten gehen«, sagte ich. »Gerade weit genug, um …«
    »Verstehe«, sagte Keith und machte eine Kopfbewegung in Wills Richtung. »Nimm deine Liege mit.«
    Wir schleiften die Liegestühle hinter uns her, bis zu der kleinen Feuerstelle am Ende des Gartens, und stellten sie so hin, dass wir sehen konnten, ob Will hinter uns herkam. Dann setzten wir uns und starrten in den Himmel. Durchsichtige Wolkenschwaden zogen vorüber und ihre fransigen Ausläufer schoben sich vor die Sterne.
    Dann erzählte ich alles. Fast alles. Zumindest das mit Craig und Naomi. Also dass Naomis Leiche an Land gespült worden war und so. Das wusste er schon aus den Nachrichten. Er sah sie sich im Fernsehen an und las Zeitung. Und dass Craig vermisst wurde. Dass ich schon länger nichts von ihm gehört hatte. Direkt gelogen hab ich nicht. Zumindest hab ich nichts gesagt, was nicht der Wahrheit entsprach. Aber ich beschränkte mich auf das, was sowieso schon bekannt war. Welche Rolle Will und ich dabei spielten, sagte ich nicht.
    Aber darum – also um Fakten – ging’s auch gar nicht. Es ging nur darum, dass Craig und Naomi verschwunden waren und dass ich deswegen völlig fertig war.
    Ich sagte zu Keith, dass meine Welt zusammengebrochen war. Dass alles irgendwie bedeutungslos geworden war. Dass mir alles nur noch hohl und grau vorkam. Ich erzählte ihm auch, wie ich mich fühlte – nicht wie gelähmt, sondern eher das Gegenteil. Dass meine Gefühle immer stärker und überwältigender wurden und mir richtige Schmerzen machten, Tag und Nacht. Und dass ich mich fragte, ob das je wieder anders würde. Oder ob ich bis in alle Ewigkeit mit diesem Schmerz leben müsste.
    »Kind«, sagte er. »Das kann ich dir nicht sagen. Kann schon sein, dass es so bleibt. Oder auch nicht. Vielleicht lässt dieser Schmerz mit der Zeit etwas nach und vermischt sich mit anderen Gefühlen, sodass alle zusammen nicht besonders schön, aber erträglich sind.«
    Dann schwieg er eine Weile. Im dunklen Garten sah sein Gesicht uralt aus, als ob plötzlich nur noch die Dinge darin zu sehen waren, die ihm über die Jahre Schmerzen gemacht hatten. Er erinnerte mich an einen alten Redwood-Baum, der im Laufe seines Lebens schlimme Zeiten durchgemacht hat. Schlimme Zeiten, die sich in seine Rinde eingegraben haben.
    »Aber das wünsche ich dir nicht«, sagte er leise. »Deine Mom und ich … wir möchten, dass es euch beiden gut geht. Vielleicht merkt man uns das nicht immer an, aber es ist so.«
    Er weinte. Ich hatte ihn noch weinen sehen. Dabei machte er nicht das leiseste Geräusch. Nur seine Schultern bebten und er fummelte an seinen Hemdknöpfen herum. Dann fing er plötzlich ganz heiser an zu singen.
    Blue, blue windows behind the stars,
    Yellow moon on the rise.
    Big birds flying across the sky,
    Throwing shadows on our eyes.
    Leave us
    Helpless, helpless, helpless, helpless.
    »Neil Young«, sagte er. »Der kennt unsere wahren Gefühle.« Dann schwieg er wieder.
    Es war ganz merkwürdig. Zum ersten Mal im Leben fühlte ich mich in seiner Nähe wohl. Getröstet. All die Jahre hatte ich gedacht, er hinge nur bei uns rum, weil er nichts Besseres vorhatte. Aber da hatte ich mich wohl getäuscht. Auch die Art, wie er mich oft angesehen hatte, musste ich wohl missverstanden haben. Er hatte mich einfach nur gern und wollte für mich sorgen.
    Dann fing ich auch an zu weinen. Wer hatte sich denn sonst je um mich gekümmert? Dass er nicht wusste, was er tun oder wie er mir helfen sollte, spielte keine Rolle. Wichtig war nur, dass er es versuchte.
    Ich griff nach seiner schwieligen Hand.
    Ein Lächeln huschte über sein Gesicht und er drückte mir die Hand. »Tut mir leid«, sagte er.
    Ich weiß gar nicht, wie lange wir so dasaßen. Jedenfalls lange.
    Dann tauchte Will an der Terrassentür auf. Er stand dort einen Moment lang und beobachtete uns, ehe er die Tür ein kleines Stück aufschob, den Kopf rausstreckte und rief: »Wollt ihr nicht endlich wieder reinkommen?«
    Keith warf mir einen schiefen Blick zu und sagte: »Mann, ich

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