Broughton House - Haus der Sehnsucht
jetzt wirklich andere Sorgen.
Sie machte sich eine Tasse Kaffee, nahm ihre Unterlagen und beschloss, sich nur noch mit der Gegenwart zu befassen und sich nicht durch unnütze Tagträume ablenken zu lassen. Als Erstes nahm sie die Broschüre des Sozialwerks und studierte sie aufmerksam.
Plötzlich läutete es an der Tür.
Stirnrunzelnd legte Fern die Broschüre beiseite. Nick konnte es nicht sein. Er besaß einen Schlüssel.
Sie öffnete und sah ihre unerwartete Besucherin erstaunt an. „Nick ist nicht da“, erklärte sie ruhig.
„Ich weiß“, antwortete Venice und betrat das Haus, bevor Fern es verhindern konnte. „Wenn Sie es genau wissen wollen: Er liegt in meinem Bett. Er hat die letzte Nacht mit mir verbracht.“
Wenn das stimmt, was will sie dann hier? überlegte Fern verwundert.
„Wir müssen miteinander reden“, führ Venice fort und sah sich neugierig um. Weshalb in aller Welt wollte Nick dieses Haus behalten? Es war miserabel eingerichtet.
„Nick will die Scheidung“, erklärte sie plötzlich. Bevor Fern sie darauf hinweisen konnte, dass Nick längst wusste, dass seine Ehe aus ihrer Sicht gescheitert wäre, ließ Venice die Bombe platzen.
„Ich bin schwanger … Das Kind ist von ihm.“
Fern starrte sie an. Sie war nicht sicher, was sie mehr verblüffte: Dass eine Frau wie Venice ungewollt schwanger wurde oder dass Nick bereit war, sich offen zu der Vaterschaft zu bekennen.
Erleichtert stellte sie fest, dass sie weder Neid noch Zorn empfand. Gleichzeitig wurde ihr bewusst, wie dringend sie sich aus dieser Ehe lösen musste, wie schädlich und zerstörerisch ihre Beziehung geworden war.
„Ich kann mir vorstellen, was jetzt in Ihnen vorgeht“, sagte Venice. Aber Nick und ich … Wir haben uns dagegen gewehrt, was passiert ist … Keiner von uns wollte Ihnen wehtun.“ Sie sah Fern an. Tränen glitzerten in ihren Augen.
Erwartet Venice etwa, dass ich ihr glaube? fragte Fern sich.
„Aber um unseres Babys willen …“
Die Frau genießt ihre Rolle richtig, stellte Fern plötzlich fest. Eine Rolle, die sie sich selber geschrieben hat.
Und was ist meine Rolle bei diesem Spiel? überlegte sie. Die einer einsamen, verlassenen Ehefrau, die mit der demütigenden Tatsache fertigwerden muss, dass eine andere Frau das Kind ihres Mannes auf die Welt bringen wird? Dass eine andere Frau seinen Namen trägt?
Wenn sie Nick noch geliebt hätte …
Aber sie liebte ihn nicht, und Nick wusste es. Er wusste auch, dass sie kein Hindernis mehr für seine Beziehung mit Venice sein würde. Weshalb hatte er es der Frau nicht einfach gesagt?
Ein eisiger Schauer durchrieselte sie. Nick war gestern Abend mit der Bemerkung aus dem Haus gegangen, er würde sich nicht scheiden lassen. Für eine Scheidung gäbe es keinen Grund.
Fern überlegte einen Moment. Während sie über ihre Zukunft nachgedacht hatte, war ihr klar geworden, dass sie unbedingt die Scheidung wollte. Wenn sie dafür die Rolle annehmen musste, die Venice ihr zugedacht hatte, sollte es ihr recht sein. Sie war stark genug, um die öffentlichen Spekulationen und das Mitleid der anderen zu ertragen.
Außerdem brauchte sie nicht in Avondale zu bleiben, sondern konnte ihre Ausbildung auch in Bristol absolvieren. Das hatte sie vorhin in der Broschüre gelesen. Dort fände sie wahrscheinlich sogar leichter Arbeit als ungelernte Kraft.
Weshalb sagt dieses dumme Ding nichts und starrt mich nur ausdruckslos an? überlegte Venice. Sie wunderte sich, dass die Mitteilung über ihre Schwangerschaft keine heftige Reaktion bei Fern ausgelöst hatte. Normalerweise besaß sie eine gute Menschenkenntnis.
Mindestens einen heftigen Tränenausbruch hatte sie erwartet, vielleicht gefolgt von der Versicherung, dass Fern ihr nicht im Weg stehen und dem Kind nicht den Vater verwehren würde. Fern gehörte zu diesen aufopfernden, anspruchslosen Frauen, die sie von ganzem Herzen verabscheute.
„Ich weiß, was in Ihnen vorgeht“, sagte Venice und unterdrückte ihre Ungeduld. Sie wollte Nick in diesem Stadium nicht zu lange allein lassen. Am Ende würde er noch kalte Füße bekommen und es sich anders überlegen. Was er sich allerdings nicht leisten konnte. Dafür hatte sie gesorgt.
„Wäre es nicht wegen des Babys …“ Sie senkte den Kopf und spielte die Bescheidene. „Sie begreifen doch, dass es für mich – für uns an erster Stelle stehen muss, nicht wahr?“
„Ja, das begreife ich“, antwortete Fern ruhig und bemerkte den triumphierenden Blick der
Weitere Kostenlose Bücher