Broughton House - Haus der Sehnsucht
merkte Ben bestimmt, was mit ihr los war.
„Clive“, wiederholte er gereizt, und sie hörte die Verärgerung in seiner Stimme. Trotzdem dauerte es mehrere Sekunden, bis zunächst ihr Körper und dann ihr Verstand reagierten. Ihr Hals schnürte sich zusammen, und Tränen traten ihr in die Augen.
„Meine Güte, Zoe … Was ist in dich gefahren?“, fragte Ben gereizt. „Stimmt etwas nicht?“
„Nein, es ist alles in Ordnung“, antwortete sie und wandte sich ab. Jetzt war es zu spät. Diese Frage hätte Ben früher stellen sollen. Er hätte sehen müssen – erkennen …
„Ich muss schnellstens weg“, hörte sie ihn sagen. „Ich rufe dich an, sobald ich weiß, was passiert ist … Vielleicht werde ich einige Tage in Manchester bleiben. Meine Güte, dass das ausgerechnet jetzt passieren musste …“ Wieder war seine Verärgerung unüberhörbar. Doch diesmal machte es Zoe nichts mehr aus.
Was ist bloß mit mir los? überlegte sie und sah zu, wie Ben seine Sachen in die Reisetasche stopfte. Bisher war sie immer die Starke gewesen. Sie hatte diese Beziehung bestimmt und Ben unterstützt. Und was passierte jetzt, wo sie zum ersten Mal selber Hilfe brauchte? Ben merkte es nicht einmal. Ihn interessierte nur, ob Clive sich gemeldet hatte.
Begriff er nicht, was los war? Sie war schwanger. Schwanger mit einem Kind, das alle ihre Pläne, alle ihre Hoffnungen zunichtemachen konnte. Ein Kind, das nie hätte gezeugt werden dürfen. Sie hatte solche Angst und war so voller Panik und Entsetzen, dass sie dringend seine Unterstützung brauchte. Ben sollte diese Fassungslosigkeit und diese Ängste mit ihr teilen. Aber er wollte nichts davon wissen. Er sah es nicht – er wollte es nicht sehen.
Ben kam mit der Reisetasche in der einen Hand und seinem Jackett in der anderen zu ihr, blieb vor ihr stehen und senkte den Kopf. Doch Zoe drehte das Gesicht weg, sodass seine Lippen ihre Wange berührten. Ihr Körper schmerzte von der Anstrengung, ihre Gefühle nicht aussprechen zu können.
„Das hat uns noch gefehlt, nicht wahr?“, murmelte er verdrießlich und richtete sich wieder auf. „Sharon und ihr verflixtes Baby …“
Zoe hörte die Verbitterung in seiner Stimme und begann zu zittern. Ihr Herz klopfte wie wild gegen ihre Rippen.
Ben hatte ihre Not nicht erkannt, weil er sie tief im Innern nicht erkennen wollte. Ein eisiger Schauer durchrieselte sie bei dieser Erkenntnis.
Lange, nachdem er gegangen war, stand Zoe noch in der Mitte des Wohnzimmers und starrte ins Leere.
Sie hatte immer gewusst, dass Ben ebenso wenig wie sie Kinder haben wollte. Sie hatten darüber gesprochen, was sie vom Leben erwarteten, und gemeinsam begeistert Pläne für die Zukunft geschmiedet.
Zoe erinnerte sich, wie leid ihr Ann getan hatte, die früh schwanger geworden war. Sie, Zoe, war stets für das Recht der Frau eingetreten, über die Fortsetzung einer ungewollten Schwangerschaft selber zu entscheiden. Für sie hatte es nicht den geringsten Zweifel gegeben, dass sie in solch einem Fall die einzig logische Entscheidung fällen würde.
Weshalb sollte sie dann noch mit Ben darüber reden? Sie wusste genau, was er von ihr erwarten würde. Sie war eine moderne, unabhängige Frau und brauchte sich nicht hilflos an einen Mann zu klammern.
Jetzt steht es also fest, dachte Zoe. Ihre Diagnose hatte sich bestätigt. Sie war tatsächlich schwanger.
In der Klinik hatte man sie gefragt, ob sie ein Beratungsgespräch wünschte. Doch sie hatte abgelehnt. Schließlich wusste sie, was sie zu tun hatte.
Ihre Panik und ihre Angst hatten sich gelegt. Sie hatte Zeit gehabt, in Ruhe nachzudenken und ihren nächsten Schritt zu planen.
Weshalb sollte sie Ben mit der Verantwortung für eine Entscheidung belasten, die sie nun einmal treffen musste? Vielleicht war es ganz gut, dass er zu viele eigene Probleme hatte, um zu erkennen, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Zum Glück war sie rechtzeitig zu Verstand gekommen.
Was würde es nützen, wenn sie Ben etwas vorheulte? Was könnte er tun, was sie nicht allein erledigen konnte?
Es war ihre Entscheidung, ihr Körper – ihr Kind.
Zoe stand auf, legte die Arme fest um sich und vertrieb den gefährlichen sentimentalen Gedanken. Nein! Ihr Entschluss war gefasst. Je schneller sie die Sache hinter sich brachte, desto besser.
Sie straffte die Schultern und schob entschlossen das Kinn vor. Sie brauchte Ben nicht in diese Angelegenheit hineinzuziehen. Sie war durchaus in der Lage, allein damit fertig zu werden.
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