Brown, Dale - Feuerflug
nicht sicher, ob Bradley ganz verstand, was tot bedeutete, aber allein die Tatsache, dass er fragte, ob sie tot sei, suggerierte Patrick, dass er eine gewisse Vorstellung davon hatte. Bradley hatte schon viele Filme gesehen, die nicht unbedingt für Kinder geeignet waren, und spielte die Kampfszenen gern mit seinem Vater oder Babysittern nach. Aber im Film waren die bösen Kerle alle wieder lebendig, wenn er die Kassette erneut einschob, und wenn sie Szenen nachstellten, stand Daddy immer gleich wieder auf, wenn Bradley ihm mit seinem Laserschwert aus Kunststoff den Todesstoß versetzt hatte. War das seine einzige Vorstellung vom Tod?
»Sie ist als vermisst gemeldet«, antwortete Patrick. Als Bradley die Stirn runzelte, erklärte Patrick ihm: »Die bösen Kerle haben Mami erwischt und an einen Ort verschleppt, an dem viele Leute umgekommen sind. Wir haben sie noch nicht gefunden.«
»Mami ist umgekommen?«
»Das weiß ich nicht, Kumpel ...«
»Mami ist tot?«, fragte Bradley, diesmal lauter. Patricks Mutter kam herangestürmt und riss ihn an sich. Ihr Überfall erschreckte Bradley, der zu weinen begann. Patricks Schwestern betrachteten ihn mit einer seltsamen, schmerzlichen Mischung aus Mitleid und Verachtung, als sie ihrer Mutter ins Parkhaus folgten.
Das alles war einige Wochen her. In der Zwischenzeit waren sie in Sacramento gewesen, um an dem Trauergottesdienst für Paul McLanahan und seiner Beisetzung im Familiengrab auf dem städtischen Friedhof neben seinem Vater teilzunehmen. Patricks Schwestern erboten sich, Bradley bei sich zu behalten, aber er bestand darauf, den Jungen in seine Eigentumswohnung in einer Wohnanlage auf Coronado Island mitzunehmen. Das hatte ihnen überhaupt nicht gefallen.
Patrick lieferte seiner Familie auch keine Erklärung dafür, was Paul oder Wendy wirklich zugestoßen war. Das brachte alle nur noch mehr gegen ihn auf. Seine Mutter und seine Schwestern umarmten Bradley herzlich, bevor Vater und Sohn nach San Diego zurückflogen, aber für Patrick selbst fiel die Umarmung recht eisig aus.
Heute war er wieder den ganzen Tag mit Bradley unterwegs gewesen. Sie hatten ihre gewohnte Runde gemacht: zum Flugplatz North Island hinaus, um die Marineflieger starten und landen zu sehen und zu versuchen, drüben bei Point Loma ein U-Boot zu beobachten; dann ein Besuch auf der Star of India, einem vor San Diego liegenden alten Segelschiff, auf dessen Deck stehend man sich vorstellen konnte, ein Pirat zu sein; als Nächstes zum Mittagessen in den Windsock Grill auf dem Lindbergh International Airport, um die Verkehrsflugzeuge zu beobachten, die zwischen den Bürotürmen der Innenstadt anzufliegen und vor dem Aufsetzen fast das Parkhaus des Flughafens zu streifen schienen; danach zu den weiten Rasenflächen auf Shelter Island, wo sie mit einem Frisbee spielten und auslaufende Kriegsschiffe, Jachten und Ausflugsboote beobachteten. Dann war Bradley so müde, dass er ein Nickerchen machen wollte, und Patrick musste ihn wie meistens nach solchen Tagesausflügen in sein Zimmer tragen.
Während Bradley schlief, überzeugte Patrick sich davon, dass wieder einmal keine E-Mail für ihn eingegangen war. Das bedeutete, dass die Nachrichten von Sky Masters Inc. weitergeleitet oder gelöscht oder von den Feds abgefangen worden waren. Er kontrollierte sein Handy – kein Ton, was bedeutete, dass sein Anschluss stillgelegt worden war oder das Sicherheitssystem unerwünschte Mithörer ausgemacht und sich automatisch abgeschaltet hatte. Er warf das Handy auf seinen Schreibtisch und war insgeheim fast froh, dass es nicht mehr funktionierte.
Kurz danach begann das Telefon zu klingeln. Der erste Anruf, bei dem Patrick seinen Anrufbeantworter eingeschaltet ließ, kam von dem ehemaligen US-Präsidenten Kevin Martindale. »Wie ich höre, sind Sie wieder da, Patrick. Rufen Sie mich bitte sofort an.«
Zehn Minuten später kam der zweite Anruf – wieder von Martindale. Beim dritten Anruf hatte Patrick das Klingelzeichen abgestellt. Nach einem einstündigen Nickerchen kam Bradley mit seinem roten Schmusetuch, in das er seine Zähne vergraben hatte, ins Wohnzimmer. Er hatte seine Schmusetücher vor fast einem Jahr aufgegeben, weil er sie blöd und kindisch fand. Daraufhin hatte Patrick sie in den Müll gestopft, aber Wendy hatte darauf bestanden, sein rotes Lieblingstuch aufzubewahren. Patrick hatte es seit Monaten nicht mehr gesehen; er wusste nicht, wo Bradley es entdeckt hatte, aber der Kleine hatte es irgendwo
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