Brown, Dale - Patrick McLanahan - 09 - Mann gegen Mann
– die Rebellen wurden durch Luftangriffe zur Unterwerfung gezwungen. Ihre Häuser, ihre Geschäftslokale, ihre Moscheen, ihre Begegnungsstätten wurden zerbombt. Seit wann toleriert die russische Regierung Unabhängigkeitsbestrebungen innerhalb der Föderation?
Nein, Russland hat auch schutzwürdige Interessen außerhalb seiner Grenzen«, fuhr Kasakow fort. Schurbenko hörte jetzt aufmerksam zu, denn seine eigenen Überlegungen gingen in eine ganz ähnliche Richtung. »Die Amerikaner geben Milliarden Dollar für den Bau von Pipelines aus, um unser Erdöl, das russische Ingenieure entdeckt und gefördert haben, in den Westen zu transportieren. Was haben wir davon? Praktisch gar nichts. Ein paar Rubel als Durchleitungsgebühren, die nur einen Bruchteil dessen ausmachen, was uns in Wirklichkeit zustünde. Wie hat es dazu kommen können? Weil wir zugelassen haben, dass Georgien und Aserbeidschan unabhängig wurden. Das wäre auch in Tschetschnja passiert, wenn wir’s zugelassen hätten.«
»Aber was ist mit dem Westen? Brauchen wir nicht sein Kapital, seine Koordination, die Zusammenarbeit mit seiner Ölindustrie?«
»Lächerliche Argumente. Der Westen hat unseren Einsatz in Tschetschnja verurteilt, weil es politisch en vogue ist, sich gegen Russland zu stellen. Die Amerikaner verhalten sich absolut heuchlerisch. Sie haben unsere Sicherheitsoperationen gegen Terroristen in einer unserer eigenen Republiken verdammt, aber die NATO, ein Militärbündnis, überfällt ohne Kriegserklärung Serbien, einen souveränen Staat und unseren engen Verbündeten, und ignoriert die Empörung der gesamten Weltöffentlichkeit!«
»Aber wir haben nicht dagegen protestiert, weil wir westliche Finanzhilfe und westliche Investitionen brauchen, wenn wir …«
»Unsinn!«, sagte Kasakow und nahm aufgebracht noch einen Schluck Whiskey. »Wir haben uns der NATO-Aggression gegen Serbien angeschlossen und geschwiegen, als unsere serbischen Brüder bombardiert wurden, nur um unsere Unterstützung für den Westen zu demonstrieren. Wir haben uns dazu drängen lassen, die Phrasen der Amerikaner zu übernehmen, die sie dem Rest der Welt vorgesetzt haben – dass der Kampf gegen Slobodan Milosević und die sogenannten ethnischen Säuberungen der Serben eher den Gefühlen der Staatengemeinschaft entsprächen. Nur deshalb haben wir geschwiegen und die ›friedenssichernden Maßnahmen‹ der Vereinten Nationen unterstützt.
Und was haben die westlichen Staaten im Gegenzug für uns getan? Nichts! Sie denken sich die unterschiedlichsten Begründungen dafür aus, dass sie uns keine Unterstützung gewähren, oder schichten bereits zugesagte Kredite nach ihren eigenen politischen Bedürfnissen um. Erst haben sie unser Eingreifen in Tschetschnja verurteilt, dann haben sie die Wahl von Präsident Senkow und die Bildung einer Koalitionsregierung mit ein paar Kommunisten darin kritisiert, dann haben sie uns Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen, als Nächstes ging es um Waffenverkäufe an Staaten, die den USA nicht genehm sind, und in letzter Zeit waren die großen Themen Drogenhandel und organisiertes Verbrechen. Tatsache ist aber, dass wir einfach kuschen sollen. Wir sollen formbar, nachgiebig und ungefährlich bleiben. Deshalb wollen sie nicht bei uns investieren.«
»Sie reden genau wie Ihr Vater, wissen Sie das?«, fragte Schurbenko. Er machte seiner Adjutantin ein Zeichen, dem jungen Mann nachzuschenken. Pawel Kasakow nickte mit schwachem Lächeln, während der Whiskey ihn wärmte und seine starren Gesichtszüge etwas weicher machte. Er wirkte unverändert gefährlich – aber jetzt nicht mehr wie eine zum Zustoßen bereite Kobra, sondern eher wie ein vollgefressenes Krokodil.
In Wirklichkeit wusste Generaloberst Schurbenko genau, dass Oberst Gregor Kasakow sich nie über Politik geäußert hatte. Er war durch und durch Soldat gewesen. Niemand – auch Schurbenko nicht – wusste, wie der ältere Kasakow über seine Regierung oder ihre Politik gedacht hatte, weil er sich selbst im Kameradenkreis nie darüber geäußert hatte. Aber dieser Schwindel schien anzukommen, und der jüngere Kasakow wirkte lebhafter als je zuvor.
»Was sollen wir also tun, Pawel Gregorjewitsch?«, fragte Schurbenko. »Angreifen? Widerstand leisten? Uns mit Deutschland verbünden? Was können wir tun?«
Schurbenko konnte sehen, dass Kasakows Verstand vom Alkohol angefeuert und enthemmt auf Hochtouren arbeitete. Der junge Mann grinste sogar spitzbübisch und ein wenig
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