Brown, Dale - Schattenpilot
Landung. Bestätigen Sie mit Ident.«
Der Kopilot wollte automatisch nochmals den IDENT-Knopf drücken, aber Shen schlug seine Hand beiseite. »Finger weg! Hier stimmt irgendwas nicht«, sagte er. »Stell das IFF auf EMER und melde auf der Wachfrequenz, dass wir getäuscht worden sind. Wir sind im chinesischen Luftraum!«
»Verdammt, wie ist das möglich?«, fragte der Kopilot verständnislos, während Shen ihre €-130 in eine steile Rechtskurve nach Osten legte.
»Keine Ahnung«, gab Shen zu. »Wir können uns nur an das vorgeschriebene Verfahren halten. Wir fliegen zum Meldepunkt Tango und versuchen dort...«
Plötzlich erzitterte die ganze Maschine und sackte spürbar durch, als sei sie schlagartig in heftige Turbulenzen geraten, durch die der Autopilot ausgeschaltet worden war. »Ich habe die Maschine!«, rief Shen, indem er das Steuerhorn mit beiden Händen umklammerte und die €-130 in die Normalfluglage zurückbrachte. »Anzeigen kontrollieren !«
Der Flugingenieur kontrollierte rasch seine Instrumente. »Alle Systeme okay«, meldete er.
»Die Instrumente scheinen in Ordnung zu sein«, sagte der Kopilot. »Soll ich den Autopiloten wieder einschalten?«
»Nein, ich fliege vorläufig selbst«, entschied Shen. »Ich fliege nach dem Magnetkompass, bis wir alles wieder im Griff haben. Du versuchst, das Geschwader auf der...«
»Hey!«, rief der Kopilot erschrocken. Er zeigte nach vorn, dann sah er zu Shen hinüber. »Ist das... ist das Matsu?«
Der Hauptmann starrte entsetzt durch die Windschutzscheibe nach vorn. Die halbe Insel war völlig in schwarzen Rauch gehüllt, selbst das Meer schien zu brennen. »Was... was hat das zu bedeuten?«, stammelte der Kopilot. »Was ist passiert?«
»Sie greifen an«, antwortete Shen hölzern. »Die Kommunisten... die ganze Sache ist ein Täuschungsmanöver gewesen. Die Kommunisten müssen Matsu mit Raketen angegriffen haben, weil sie angenommen haben, wir wollten angreifen! Fahrwerk ein! Wir müssen schnellstens nach Sungshan zurück!«
Im Funk herrschte jetzt unglaubliches Durcheinander, deshalb verzichtete die Besatzung auf Positionsmeldungen und hoffte, die eigene Luftverteidigung werde ihr Transpondersignal und ihre Freund-Feind-Kennung richtig deuten, während die €-130 von Matsu abdrehte. Im Cockpit starrten alle wie gebannt aus den linken Fenstern, als sie auf Ostkurs von dem Luftwaffenstützpunkt abdrehten. »Dort kommen Jäger«, sagte Shen. »Wenigstens bekommen wir Jagdschutz. Wir sollten...« Er brachte den Satz nicht zu Ende, sondern schluckte krampfhaft, weil seine Kehle plötzlich trocken war. »Das sind keine eigenen Jäger! Das sind kommunistische Jäger!« Wenig später waren die feindlichen Jäger heran und schössen die C-ijo ab, die brennend ins Meer stürzte.
Das Ganze erwies sich als sehr gut koordinierter Angriff: Nach dem Raketenbeschuss durch die Batterien auf dem Heeresstützpunkt Lang-Ch'i auf dem Festland folgten sofort Angriffe durch mehrere Wellen von Jagdbombern des Luftwaffenstützpunkts Yixu. Hauptmann Shen, seine Besatzung und seine Passagiere stellten nur einen winzigen Bruchteil der Opfer des chinesischen Überfalls auf die Inselkette dar. Innerhalb weniger Stunden waren die Matsu-Inseln völlig wehrlos.
Im Luftraum vor der Insel Quemoy
Donnerstag, 19. Juni 1997, 08.00 Uhr Ortszeit
(Mittwoch, 18. Juni, 20.00 Uhr Ostküstenzeit)
»Headbanger One auf Station«, meldete Cheshire über die abhörsichere Satellitenverbindung.
»James Daniel hat verstanden, Headbanger«, lautete die knappe Antwort. Nur zehn Seemeilen nördlich der EB-52 Megafortress, die in 15 ooo Fuß über der Formosastraße kreiste, stand ein kleiner Verband aus zwei amerikanischen Lenkwaffenfregatten der Oliver- Hazard-Perry-Klasse: die Duncan, ein Schiff der Naval Reserve Fleet mit achtzig Reservisten an Bord, und das führende Schiff dieser kleinen Kampfgruppe, die Fregatte James Daniel. Die amerikanischen Schiffe waren in das Gebiet entsandt worden, in dem es vor kurzem zu einem Seegefecht zwischen der Kriegsmarine der chinesischen Volksbefreiungsarmee und der Quemoy-Flottille der Kriegsmarine der Republik China gekommen war. Offiziell hatten Duncan und James Daniel den Auftrag, im dortigen Gebiet zu patrouillieren und sowohl China als auch Taiwan auf Anforderung zu unterstützen, während Suchund Bergungsschiffe beider Seiten noch zu retten versuchten, was längst nicht mehr zu retten war. Tatsächlich sollten sie dort jedoch Flagge zeigen und nach
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