Brown, Dale - Schattenpilot
patrouillierten, weil ihre Stützpunkte durch chinesische Luftangriffe vernichtet worden waren, flog die Y-8 in nur dreihundert Metern Höhe über dem Ostchinesischen Meer an und hielt dabei auf Taipeh zu. So konnte sie die Ziele weiter verfolgen, wohin sie auch unterwegs waren.
Ihre Taktik ging auf. Die Ziele bogen allmählich nach Süden ab, und die chinesische Y-8 flog hinter ihnen her. Der Funkverkehr wurde häufiger. Dann fingen die Peilfunker auch UHF-Signale aus dem Gebiet um den Luftwaffenstützpunkt Hualien auf. Wie war das möglich? Hualien war vor Tagen von chinesischen Raketen M~9 mit Kernsprengköpfen zerstört worden - das stand fest. Hatten die Nationalisten den Flugplatz etwa so rasch wieder instand gesetzt?
Es gab nur eine Möglichkeit, das zweifelsfrei festzustellen: Sie mussten sich den Stützpunkt selbst ansehen. Die Y-8 begann, der Ostküste Formosas nach Süden zu folgen. Ihre Piloten drosselten die Triebwerke bei geringster Steigung der großen Propeller auf Mindestleistung, damit sie möglichst leise liefen, wichen Schiffen oder beleuchteten Küstenorten aus und schlichen so die Küste entlang nach Hualien. Wenig später flogen die Ziele ein... nach Westen, genau vor den Bug des Seeaufklärers! Nach Westen? Die Startund Landebahnen von Hualien verliefen in Nord-Süd-Richtung, und das Küstengebirge stieg in diesem Gebiet nach Westen hin steil aus dem Meer auf...
Plötzlich sichteten die Beobachter der Y-8 an Steuerbord den Luftwaffenstützpunkt Hualien. Dort unten stand praktisch kein Stein mehr auf dem anderen. Einzelheiten waren kaum zu erkennen, aber die bis auf die Grundmauern zerstörten Gebäude, die großen Trümmerhaufen und die an vielen Stellen noch wütenden Treibstoffbrände zeigten, dass der Platz nicht zu benutzen war.
Wohin waren die taiwanischen Ziele also unterwegs, verdammt noch mal?
Die Y-8-Besatzung flog nach Süden weiter, bis die Peilungen eine Kursänderung der Ziele nach Norden erkennen ließen. Ihren Karten nach stieg das Gelände im Nordwesten auf einer Strecke von nur fünfundzwanzig Kilometern auf über dreieinhalbtausend Meter an, aber das Schwemmland südwestlich von Hualien war gut fünfzehn Kilometer breit, sodass sie dort im Tiefflug anfliegen konnten. Die Piloten leiteten über der Küste eine Rechtskurve ein, um wieder auf Nordostkurs zu gehen. Behielten sie die Stadt Hualien genau unter der rechten Flügelspitze, gerieten sie nicht in gefährliche Nähe der Hochspannungsleitung entlang der Überlandstraße im Westen und konnten...
Dann hörte die Y-8-Besatzung ein Brausen, das schlagartig zu einem ohrenbetäubenden Röhren wurde. Ein Düsenjäger hatte sie nur knapp verfehlt! Er hatte sie unterflogen, war knapp fünfzig Meter unter der großen Y-8 hindurch nach Nordwesten weitergerast! Aber das war verrückt, völlig unmöglich! Im Nordwesten lagen nur dreitausend bis dreieinhalbtausend Meter hohe Berge...
Aber dann sahen sie einen Lichtschein aus einem breiten waagerechten Felsspalt, und die Y-8-Piloten legten ihre Maschine instinktiv in eine Linkskurve, um darauf zuzuhalten - solange das Licht zu sehen war, bestand keine Gefahr, einen Berg zu rammen. Der Lichtschein wurde heller... und dann sah die Besatzung zu ihrer Verblüffung die blinkenden Hochleistungsfeuer einer Landebahnbefeuerung. Dort unten lag ein Flugplatz! Unglaublich! Unmöglich! Als die Y-8 eine noch steilere Kurve beschrieb und dabei tiefer ging, konnte die Besatzung weit in die riesige Höhle hineinsehen und sich davon überzeugen, dass dort tatsächlich ein unterirdischer Flugplatz lag! Die nationalistischen Rebellen hatten im Inneren des Berges einen ganzen Stützpunkt angelegt!
Diese Entdeckung war so wichtig, dass sie die bisher eingehaltene Funkstille brechen mussten. Der Funker der Y-8 setzte hastig eine dringende Meldung mit Angabe ihrer Position über Kurzwelle ab, denn mit normalem UHF-Flugfunk wäre hier in den Bergen keine Verständigung möglich gewesen. Er wartete keine Antwort seiner Gegenstelle ab, sondern konzentrierte sich ganz darauf, immer wieder ihren geschätzten Standort und die Entdeckung eines geheimen Flugplatzes der Rebellen durchzugeben.
Plötzlich war am Nordrand der Kaverne ein greller Lichtblitz zu sehen. Dann raste ein Feuerschweif durch den Nachthimmel auf sie zu und traf im nächsten Augenblick ihr Triebwerk Nummer vier. Das Triebwerk explodierte in einem Feuerball und sprengte dabei ein gut zwei Meter langes Stück der rechten Flügelspitze ab.
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