Brown, Sandra - Ein skandalöses Angebot
12
Lauren presste die Hände vor den Mund. Was die Komantschen Jack Turner angetan hatten, war grausig. Die
Herzlosigkeit seiner Mitmenschen war jedoch fast noch
schlimmer. Ben und Jared hatten ihn freundlich behandelt.
Sie senkte den Blick. »Es ist sehr großzügig von dir, dass du
ihm diese Sachen mitbringst.«
»Das hat mit Großzügigkeit nichts zu tun. In ein oder
zwei Tagen revanchiert er sich, indem er mir einen Krug
von seinem selbstgebrannten Schnaps vor die Tür stellt.
Das macht er immer so. Ich rühre das Zeug natürlich nicht
an. Es ist schlimmster Fusel. Trotzdem würde ich die Geste
nie zurückweisen.« Solange er sich erinnern konnte, hatte
Ben für Crazy Jack Vorräte mitgenommen. Der Mann war
inzwischen bestimmt weit über siebzig. »Ich frage mich, ob
er überhaupt weiß, dass Ben tot ist«, sinnierte Jared laut.
»Hmm, ich denke schon. Jack weiß so ziemlich alles, was
hier passiert.« Er warf den Zigarillostumpen zu Boden und
schob seinen Fuß wieder in den Steigbügel. »Können wir
weiter?«
Lauren nickte. Jared schob das Halstuch über seine Nase,
und sie folgte seinem Beispiel. Sie ritten vom Fluss weg
über ausgedörrte Weideflächen, eingehüllt in dichte Staubwolken, die die Hufe der Pferde aufwirbelten. Lauren war
froh über das Tuch, das Jared ihr gegeben hatte.
Nach einer Weile erreichten sie eine baumbewachsene
Anhöhe. Gewaltige Pekannussbäume, die in buntem
Herbstlaub standen, spendeten angenehmen Schatten.
Der Fluss wurde an dieser Stelle breiter. Kristallklar gurgelte er über kleine Kiesel und umspülte riesige Kalksteinfelsen, die weiß glitzernd aus dem Wasser ragten.
»Ist das schön hier!«, rief sie. Sie schwang sich euphorisch
aus dem Sattel, sprang zu Boden und lief zu dem grasbewachsenen Ufer.
Auf dem gegenüberliegenden Flussufer erhob sich eine
ähnliche Felsformation wie die, auf der Crazy Jack seine
Hütte gebaut hatte. Felswand und Pekannussbäume bildeten eine abgeschiedene kleine Oase.
Der junge Rancher sprang vom Pferd und schlenderte zu
ihr. »Der Fluss wird hier von unterirdischen Quellen gespeist, deshalb ist er so klar. Komm mit.«
Lauren war baff, als er ihre Handgelenke umfasste und sie
auf die Felsen zog. Durch die abgewetzten Lederhandschuhe hindurch spürte sie die Wärme seiner Haut. Sie spazierten über die weißen Quader, die die rauschende Naturgewalt des Wassers geschliffen hatte. Jared bückte sich an einer Stelle. Lauren tat es ihm nach und steckte vorsichtig die
Finger ins Wasser.
»Oh! Ist das kalt«, kreischte sie lachend.
»Alles eine Frage der Gewöhnung«, grinste er. »Als Kinder
kamen Rudy und ich öfters hierher zum Schwimmen. Ben
begleitete uns, bis wir alt genug waren, um allein herzureiten. Weißt du, nach Unwettern ist dieser Abschnitt des Rio
Caballo besonders gefährlich. Wo wir stehen, münden die
Gebirgsbäche in den Fluss.« Sie hatten die Tücher von den
Gesichtern gezogen. Lauren hing wie gebannt an seinen
Lippen. »Im Frühling sieht es hier ganz anders aus. Dann
blüht der Mohn, und die Anhöhen sind mit einem blühenden Teppich aus Akelei bedeckt.«
Fasziniert betrachtete sie seine Gestik. Er hatte Ben freimütig erwähnt, was ihm sonst offenbar schwerfiel. Sie beugte sich über den Fluss und schöpfte sich eine Hand voll
Wasser in den Mund. Es schmeckte scheußlich. Sie musste
wohl angeekelt das Gesicht verzogen haben, denn Jared kicherte.
»Es schmeckt furchtbar, nicht? Das Wasser ist zwar sauber, muss aber erst gefiltert werden, bevor man es trinken
kann«, erklärte er. »Siehst du, wie das Wasser da unter diesem Felsen blubbert?« Sie nickte. »Das ist eine Quelle.«
Sie sprangen zurück ans Ufer, wo ihre Pferde friedlich
grasten. Während Jared ihr Picknick aus den Satteltaschen
kramte, erkletterte Lauren den Hang. Sie hielt die Luft an:
Das weite Tal breitete sich unter ihr aus. Ein atemberaubender Anblick. »Das Mittagessen ist serviert, Madam.« Jared machte eine weit ausholende Handbewegung über die
Decke, die ihnen als Tisch diente.
Unbekümmert lief sie den Hügel hinunter und zu ihm.
Nüsse und Herbstlaub knackten unter ihren Stiefeln.
Maria hatte gewaltige Mengen eingepackt, aber gottlob
keine Bohnen, stellte Lauren erleichtert fest. Dünn aufgeschnittenes kaltes Roastbeef, eine Schüssel Kartoffelsalat,
Pfirsich-Chutney, frisch gebackenes Brot, Tortillas und
Kekse waren ihr fürstliches Mittagsmahl. Sie aßen von
Zinntellern, wie die Männer sie auf ihren
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