Brown Sandra
Wenn er sich mit etwas auskannte, dann mit Frauen. »Hör zu, alter Mann. Ich weiß, wie man mit Frauen umgeht, okay?«
»Du weißt nicht mal halb so viel, wie du glaubst.«
»Das mußt du mir nicht … Daddy! «
Doch die Warnung kam zu spät. Ivan sah den Güterzug nicht.
Kapitel 17
Los Angeles, 1991
» Graham? Ich bin’s.«
»Hi, Mom! Hast du schon irgendwelche Filmstars gesehen?« Jade machte es sich bequem und schmunzelte in den Hörer.
Sie konnte Grahams vierzehn Jahre junges Gesicht förmlich vor sich sehen. Die lockigen, dunklen Strähnen, die ihm in die Stirn fielen. Darunter die funkelnden blauen Augen.
»Bis jetzt noch nicht. Aber ich habe heute etwas für dich gekauft.« Ihr Blick schweifte zu dem Sweatshirt der ›Los Angeles Rams‹, das sie vorhin erstanden hatte.
»Und was?«
»Abwarten und Tee trinken.«
»Ist es cool? Wird’s mir gefallen?«
»Es ist supercool, und du wirst es lieben.«
Dann fragte sie ihn, wie es zu Hause klappte. Er versicherte
ihr, daß alles wie geschmiert lief. Cathy Hearon war die geborene Organisatorin.
»Regnet es noch in New York?«
»Ja«, maulte Graham. »Es gießt in Strömen.«
»Das ist schade. Hier scheint die Sonne.«
»Warst du schon schwimmen?«
»Nein, keine Zeit.«
»Mom? Müssen wir wirklich nach South Carolina in dieses Kaff ziehen?«
Jades Lächeln erstarb. Der mangelnde Enthusiasmus ihres Sohnes machte ihr ernsthaft zu schaffen. »Du kennst die Antwort, Graham. Warum fragst du mich immer wieder?«
»Ich kenn’ da doch überhaupt keinen«, grummelt er. »Ich habe alle meine Freunde hier.«
Je näher der Termin des Umzuges rückte, desto häufiger führten sie dieses Gespräch. Graham wußte, daß das Projekt für ihre Karriere wichtig war. Ihre persönlichen Gründe kannte er allerdings nicht – niemand kannte sie.
Die Umzüge davor hatte er gut überstanden. Aber jetzt war er ein Teenager, und seine Freundschaften hatten an Bedeutung gewonnen. Er haßte den Gedanken, aus seiner Umgebung wegziehen zu müssen.
»Du wirst neue Freunde finden, Graham.«
»Aber da ist überhaupt nichts los.«
»Das stimmt nicht. Palmetto liegt am Meer. Da kannst du zum Strand. Wir können fischen und Krebse sammeln gehen.«
»Ich mag keine Krebse.«
Sie überhörte es. »Es gibt auch Soccer Teams an den Schulen in Palmetto – ich habe mich erkundigt. Du brauchst also mit dem Spielen nicht aufzuhören.«
»Aber das ist nicht dasselbe.«
»Nein, das ist es nicht. Es ist ganz anders als in der Stadt.«
»Blödes Kuhkaff.«
Sackgasse. Dagegen gab es kein Argument. Verglichen mit New York war Palmetto zweifelsohne ein Kuhkaff. In die darauffolgende Stille sagte Jade betont optimistisch »Morgen treffe ich mich mit dem Bauunternehmer, wegen dem ich die ganze Reise gemacht habe. Wünsch mir Glück.«
»Ja, viel Glück. Ich hoffe, er nimmt dein Angebot an. Und Mom, sei vorsichtig. Es laufen ’ne Menge Verrückte in Kalifornien rum.«
»Ach, in New York wohl nicht, was?«
»Naja, hier kann man sie jedenfalls gleich erkennen.«
»Ich werde vorsichtig sein«, versprach sie. »Ich hoffe, ich bin hier in ein paar Tagen durch. Wenn ich wiederkomme, gehen wir aus, unternehmen irgendwas zusammen, abgemacht?«
»Abgemacht.«
Als sie einhängte, hatte sie schrecklich Heimweh nach ihm. Es gab Tage, an denen er unausstehlich war, aber meistens war er ein Schatz. Er entwickelte mit zunehmendem Alter eine Art Beschützerinstinkt, was sie amüsant, aber auch rührend fand.
Er überragte sie bereits. Daran hatte sie sich erst einmal gewöhnen müssen. Er war stark, sportlich und voll übersprudelnder Energie. Insgeheim war Jade stolz auf sein gutes Aussehen, aber jedesmal, wenn jemand es hervorhob, betonte sie seine Intelligenz und seine Charakterstärke. Er besaß einen ausgeprägten Sinn für Humor und eine Sensibilität, über die sie sich besonders freute.
Seinen Widerwillen, Freunde und Umgebung verlassen und in einen anderen Bundesstaat übersiedeln zu müssen, tat sie nicht einfach ab. Doch der Umzug lag noch in weiter Ferne; das Halbjahr konnte er noch an seiner alten Schule beenden, und Jade hoffte, daß er sich in dieser Zeit an den Gedanken gewöhnen würde. Immerhin hatten sie jetzt beinahe ein ganzes Jahr Zeit gehabt, sich innerlich darauf vorzubereiten.
Jade erinnerte sich noch lebhaft an jenen Wintertag, an dem das Projekt in Palmetto abgesegnet wurde. Ihre Präsentation vor dem Vorstand von GSS war perfekt gewesen. Sie hatte so gut recherchiert, daß sie einen ganzen
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