Brown Sandra
Liebe kämpften in seinem Innern.
Er sehnte sich danach, all dem hier zu entfliehen. Er haßte die Armut, die Häßlichkeit, den Schmutz und die Tatsache, nie allein sein zu können. Und doch liebte er seine Familie.
In seinen Träumen kehrte er wie der Weihnachtsmann mit einem Sack voller Geschenke vom College hierher zurück. Aber die Verpflichtung, diese Träume Realität werden zu lassen, war erdrückend. Er dachte oft daran, einfach für immer zu verschwinden. Das würde er natürlich niemals tun. Nicht nur, weil das Gefühl der Verantwortung so tief saß, sondern wegen Jade. Sie war es, die die Häßlichkeit in seinem Leben erträglich machte, weil in ihr das Versprechen lag, daß es nicht immer so sein würde. Sie war der Mittelpunkt all seiner Hoffnungen.
»Gott«, stöhnte er. Wie sollte er ohne sie weiterleben? Jade, dachte er elend, was ist mit dir geschehen? Mit uns? Mit unserer Zukunft? Sie hatten ihre Ausbildung zusammen machen wollen, um dann nach Palmetto zurückzukehren und für etwas mehr Gerechtigkeit in der Gemeinde zu sorgen. Und jetzt, so schien es, war Jade zur anderen Seite übergelaufen – zu den Patchetts. Wie konnte sie nur?
»Gary?«
Sein Vater schritt durch das große Scheunentor. Otis Parker war noch keine fünfzig, sah aber ein ganzes Jahrzehnt älter aus. Er war schmächtig und drahtig, ein sehniger Mann mit hängenden Schultern. Der Overall schlotterte um seinen knochigen Körper.
»Gary? Die Kleinen sagen, du bist gemein zu ihnen gewesen.« »Kann man hier nicht mal eine Minute allein sein?« »Ist irgendwas in der Schule gewesen?«
»Nein! Ich will einfach nur meine Ruhe!« Gary war danach
zumute, um sich zu schlagen, und sein Vater gab eine gute Zielscheibe ab. »Zum Teufel, kannst du mich nicht einfach allein lassen?«
»In Ordnung.« Otis wandte sich zum Gehen. »Vergiß nicht, die Sau zu füttern.«
Gary sprang auf die Füße und ballte die Hände zu Fäusten. »Hör zu, Alter, ich habe die verdammte Sau das letzte Mal gefüttert. Ich hab’s satt, die Schweine zu füttern. Ich hab’s satt, von kreischenden Gören umgeben zu sein, die ihr ja unbedingt in die Welt setzen mußtet. Ich habe diese ganze Scheißfarm satt und den verfaulten Gestank deines Versagens. Ich habe die Schule satt, die Lehrer und das verdammte Gelaber über Stipendien, wenn’s sowieso keinen schert. Ich hab’s satt, immer der gute Junge zu sein. Es führt zu nichts. Zu überhaupt nichts.«
Seine Wut verebbte. Gary sank auf einen Heuhaufen und fing an zu weinen. Mehrere Minuten verstrichen, bis er schließlich die rauhe Hand seines Vaters auf der Schulter spürte.
»Scheint, als könntest du ’nen Schluck gebrauchen.«
Otis hielt ihm ein Einmachglas mit einer klaren Flüssigkeit hin. Gary griff zögernd danach, schraubte den Deckel ab und schnupperte. Dann nahm er einen Schluck. Der Whisky brannte sich den Weg in seinen Magen hinunter. Hustend und schluckend reichte er seinem Vater das Glas, der einen tiefen Schluck nahm.
»Erzähl deiner Ma bloß nichts davon.«
»Wo hast du’s her?«
»Schätze, ist an der Zeit, daß du Georgie kennenlernst. Sie ist
’ne Nigger -Lady und brennt schon seit Jahren selber. Sie verlangt nicht viel. Könnte mir sowieso nichts anderes leisten. Ich hab’s immer unter dem alten Sattel da, falls du mal was brauchst und ich nicht da bin.« Otis verschloß das Glas sorgfältig. »Hast du Ärger mit ’ner Frau?«
Gary zuckte gleichgültig die Achseln, doch die Erinnerung an Jades Betrug brannte schlimmer als der Whisky.
»Es gibt nur eine Sache in Gottes Reich, die einen Mann so wütend machen kann und so wild reden läßt, wie du es eben getan hast.« Otis sah ihn ernst an. »Mir hat nicht gefallen, wie du von deinen kleinen Geschwistern gesprochen hast, weil du deine Mutter damit beleidigst.«
»Tut mir leid, ich hab’s nicht so gemeint.«
»Doch, hast du. Aber ich will, daß du weißt, daß wir jedes unserer Kinder in Liebe empfangen haben. Wir sind auf jedes einzelne stolz.« Otis’ Augen wurden trüb. »Und auf dich sind wir ganz besonders stolz. Kann mir überhaupt nicht vorstellen, wo du den Verstand und so herhaben sollst. Schätze, du schämst dich ziemlich für uns, was?«
»Nein, das tue ich nicht, Daddy.«
Otis seufzte. »Ich bin nicht blind, Gary. Ich weiß, warum du nie jemanden mit hierher bringst. Hör mir jetzt zu, deine Ma und ich, wir wollen nicht, daß du deine Ausbildung machst, damit du uns oder die Kleinen später versorgst. Wir
Weitere Kostenlose Bücher