Brown Sandra
Medizinschrank mit den blitzenden Metallinstrumenten, die aussahen, als könne man damit jemanden töten oder zumindest verstümmeln.
»Ich habe etwas, das ich loswerden möchte«, antwortete Jade mit heiserer Stimme.
Georgie streckte ihr die Hand entgegen. Zunächst war Jade von dieser Geste verwirrt. Doch dann wurde ihr klar, was Georgie meinte, und sie suchte in ihrer Handtasche nach ihrer Geldbörse, zog fünf Zehndollarscheine heraus und legte sie in die hellrosa Handfläche. Georgie war professionell genug, das Geld im voraus zu verlangen, aber auch höflich genug, nicht offen danach zu fragen. Das Geld verschwand in der Tasche ihres Kleides; sie bedankte sich nicht.
»Ziehen Sie bitte Ihren Slip aus und legen Sie sich auf den Tisch.«
Jades Zähne fingen an zu klappern. Jetzt, da der Zeitpunkt gekommen war, hatte sie plötzlich schreckliche Angst. Zitternd legte sie die Handtasche auf das Tischende, griff sich unter den Rock, zog den Slip herunter und fragte: »Muß ich mich nicht ganz ausziehen?«
»Nein. Erst wenn ich Sie untersucht habe. Vielleicht mache ich es gar nicht.«
»Warum nicht?« So sehr Jade die Abtreibung auch fürchtete– mindestens ebensosehr fürchtete sie plötzlich, als Kandidatin abgelehnt zu werden. »Sie müssen es tun. Sie haben doch schon mein Geld genommen.«
»Legen Sie sich jetzt bitte hin«, sagte die Frau nicht unfreundlich. Jade befolgte die Anweisung. Georgie zog ihr den Rock hoch und entblößte ihren Schoß. Jade wandte sich ab und starrte die blanke Wand an.
»Manche Mädchen kommen zu spät«, erklärte Georgie. Sie legte eine Hand auf Jades Bauch und fing an, ihn leicht zu massieren. »Wenn sie zu spät kommen, kann ich nicht helfen.«
»Ich bin nicht zu spät. Ich habe Patrice gefragt.«
»Wir werden sehen.« Georgie massierte weiter Jades Bauch. Dabei hielt sie die Augen geschlossen. Nur mit den Händen untersuchte sie den Bereich zwischen Jades Bauchnabel und dem Schamdreieck. Schließlich reichte sie Jade eine Hand und half ihr, sich aufzurichten und den Rock wieder zurechtzuziehen.
Jade setzte sich auf die Tischkante und baumelte nervös mit den Beinen. Das Gummilaken unter ihrem Po fühlte sich kühl, klinisch und fremd an. Sie versuchte, nicht daran zu denken. »Werden Sie es machen?«
»Ist das Kind von dem Patchett-Jungen?«
»Es ist kein Kind«, protestierte Jade. »Es ist ein – ein Nichts.«
»Hat Neal Patchett es Ihnen angedreht?«
»Ich weiß es doch nicht. Sie waren zu dritt. Neal war auch dabei. Die anderen beiden waren seine Freunde.« Ihre Blicke trafen sich. »Sie haben mich vergewaltigt.«
Die Frau sah Jade prüfend in die Augen. Dann sagte sie leise: »Und ich dachte, das machen die nur mit schwarzen Mädchen. Ziehen Sie sich aus. Ich werd’ Ihnen helfen.«
***
Mit langsamen, vorsichtigen Schritten ging Jade den Gehweg entlang. Ihre Hände waren klamm und kühl, und sie fühlte sich, als hätte sie Fieber. Sie schwitzte und fror abwechselnd. Georgie hatte sie bedrängt, noch nicht sofort zu gehen, doch Jade hatte darauf bestanden. Die Abenddämmerung brach herein. Jade würde sich eine gute Entschuldigung für ihr Zuspätkommen zurechtlegen müssen, wenn sie Velta gleich von der Fabrik abholte, doch das bereitete ihr jetzt die geringsten Sorgen.
Mit zitternden Händen schloß sie die Wagentür auf. Dann saß sie eine ganze Weile einfach hinter dem Steuer und starrte gedankenverloren durch die Windschutzscheibe auf die fuchsienfarbenen Blüten einer Myrte. Als sie sich schließlich etwas besser fühlte, startete sie den Motor und fuhr mit hohem Tempo, bis Georgies Haus im Rückspiegel verschwand.
Sie mußte Gary sehen.
Schlimmstenfalls, so sagte sie sich, konnte er sie zurückwiesen, und das hatte er bereits getan. Aber wenn sie ihm
alles über den besagten Abend erzählen würde, all die Details, die er nicht kannte, dann würde er sich vielleicht mit ihr aussöhnen. Die Vorstellung, daß Gary liebevoll und beschützend die Arme um sie legen würde, ließ Jade aufs Gaspedal treten. Warum nur, so fragte sie sich selbst, hatte sie so lange gezögert, ihm die Wahrheit zu sagen? Niemand auf der Welt kannte sie besser als er. Wenn sie ihm das Herz ausschüttete, dann würde er sicher einsehen, daß sie das Opfer war. Sie würde ihm erklären, daß ihr Schweigen nur seinem Schutz vor dem Spott der Öffentlichkeit gegolten hatte. Und da er diesem Spott jetzt ohnehin ausgesetzt war, wurde ihr Schweigen überflüssig.
Warum sollte sie zulassen,
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