Brown Sandra
Einfahrt bog, blieb sie im Wagen sitzen und dachte an jenen Morgen, als sie mit Graham auf dem Arm zum erstenmal diese Stufen hinaufgegangen war. Jetzt kam er eben diese Stufen hinuntergesprungen. Er war ein kräftiger Junge mit himmelblauen Augen und einem Grübchen am Kinn. Er war kein bißchen außer Atem, als er das Auto erreichte.
»Cathy will wissen, warum du hier draußen rumsitzt.«
Weil ich Angst habe, reinzugehen und ihr meinen Entschluß mitzuteilen, dachte Jade. Zu Graham sagte sie: »Ich habe darauf gewartet, daß mein Junge mich abholt.«
»Ich?«
»Kein anderer. Was hast du heute gemacht?«
Während sie zusammen zum Haus gingen, plapperte er munter
über die Sesamstraße und einen Ausflug zu ›einem Platz mit ganz vielen Blumen‹.
»Die Gärtnerei«, sagte Cathy, die ihr Gespräch mitgehört hatte. Sie gingen alle drei in die Küche, wo Jade oft am Tisch saß und Cathy beim Kochen zusah. »Ich habe einige Pflanzen für die Töpfe vorne auf der Veranda gekauft.«
»Blumen machen sich bestimmt gut da. Welche Farbe?«
Jade bemühte sich, die Unterhaltung in Gang zu halten, doch irgendwann verstummten sie. Noch länger konnte Jade es nicht aufschieben.
»Cathy, ich muß dir etwas sagen.«
»Ich habe mich schon gefragt, wann du endlich damit rausrückst. Ich seh’ dir doch an, daß du was auf dem Herzen
hast.«
Sie setzte sich gegenüber von Jade an den Tisch. Graham malte eifrig in einem großen Buch, die Zunge im Mundwinkel.
»Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll. Wohl am besten geradeheraus.« Jade holte tief Luft. »Ich habe einen Job bei einem Bekleidungshersteller in Charlotte angenommen.«
»In North Carolina?«
»Ja. Ich hatte gehofft, ich könnte irgendwas hier in der Gegend finden, aber du weißt ja, außer der Uni gibt es hier nichts. Es ist ein guter Job mit einem ziemlich respektablen Anfangsgehalt. Ich arbeite direkt mit dem Einkaufsleiter zusammen.« Sie sah Cathy mit der stillen Bitte um Verständnis an. »Es ist eine Chance für mich, auch wenn es bedeutet, daß Graham und ich umziehen müssen.«
Jade war darauf vorbereitet, daß Cathy unter Tränen zusammenbrach. Doch statt dessen erstrahlte das Gesicht der älteren Frau. »Oh, eine Veränderung wäre wirklich schön. Wann ziehen wir um?«
Kapitel 15
Tallahassee, Florida, 1983
Nahezu alle Passagiere auf dem Transatlantikflug waren während des albernen Films eingeschlafen. Dillon konnte nicht schlafen. Die Sitze waren für einen Mann seiner Größe einfach nicht geschaffen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als lediglich den Kopf anzulehnen und die Augen zu schließen. Er hörte, wie Debra sich bewegte, und drehte sich zu ihr um. Sie deckte ihren schlafenden Sohn zu und schaute dann lächelnd zu Dillon. »Er hält sich doch prima«, flüsterte sie.
»Als wäre er schon hundertmal geflogen.«
Der sechs Monate junge Charlie lag in seiner gepolsterten
Tragetasche. Als er im Schlaf leise seufzte, lächelten sich die stolzen Eltern zu. »Versuch, jetzt auch etwas zu schlafen«, flüsterte Dillon. Er langte über den Sitz zwischen ihnen und strich ihr durch das Haar. »Deine Familie wird uns keinen Augenblick Ruhe gönnen, wenn wir erst in Atlanta sind.«
»Machst du Witze? Alles wird sich um Charlie drehen – uns werden sie völlig ignorieren.« Sie warf ihm eine Kußhand zu, kuschelte sich in die Decke und schloß die Augen.
Dillon sah sie an, und sein Herz zersprang fast vor Liebe, als er daran denken mußte, daß er sie vor eineinhalb Jahren beinahe verloren hätte. In den Monaten nach dem Verlust ihres ungeborenen Kindes war sie in Depressionen versunken. Ihre Eltern waren nach Frankreich gekommen und hatten sie aufgepäppelt. Die Newberrys waren geblieben, solange es ihnen möglich war, und hatten Debra dann wieder Dillons Obhut anvertraut, der mit ihrer Verzweiflung kaum fertig wurde.
Debra hatte keinerlei Interesse gezeigt, ihre alten Aktivitäten wieder aufzunehmen, nicht einmal den Kochkurs. Sie räumte die Wohnung nicht mehr auf. Dillon erledigte den Haushalt abends, wenn er von der Arbeit kam. Die Wäsche stapelte sich, bis er die Zeit fand, sich darum zu kümmern. Debra schlief fast ununterbrochen. Es schien der einzige Weg für sie, ihre Trauer zu ertragen.
Dillon betäubte seinen Kummer mit Arbeit. Für ihn war körperliche Anstrengung das Allheilmittel, denn Erschöpfung ließ ihn wenigstens vorübergehend vergessen. Debra hatte nichts Derartiges, um sich aus ihrem Elend zu befreien. Sie
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