Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
eine Woche nach dem Valentinstags-Konzert von Earth ging Bruce daher zum zweiten Mal ins Upstage – und diesmal hatte er seine Gitarre dabei. Nachdem ihm Margaret Potter grünes Licht gegeben hatte, ging er auf die Bühne und öffnete seinen Gitarrenkoffer. Er nahm seine neue Les Paul Gold Top heraus, warf sich den Gurt über die Schulter, drehte den Lautstärkeregler auf und atmete einmal tief durch. »Ich bin dahin gegangen, um zu beeindrucken, ganz klar«, sagt er heute.
Anfang 69 war das Upstage die erste Adresse für junge aufstrebende Musiker. Der im März 68 als Café mit Livemusik über einem Thom-McAn-Schuhgeschäft in der Innenstadt von Asbury Park eröffnete Club war ein Treffpunkt für Musiker und Musikliebhaber, die sich für die mitternächtlichen, oft bis in die frühen Morgenstunden andauernden Jamsessions begeisterten. Im Herbst 68 mieteten die Potters zusätzlich die zweite Etage des Gebäudes, um dort mit einer größeren Bühne, einem hochwertigen PA-System, Scheinwerfern und einem Schrank voller Instrumente die optimalen Bedingungen für die Jams zu schaffen. Für die Musiker und jugendlichen Nachtschwärmer an der Küste von New Jersey ähnelte das hoch über der Cookman Avenue gelegene Upstage, wo man bis zum Morgengrauen durchfeiern konnte, einer Arche. Es war ein Paralleluniversum voller Schwarzlicht und Stroboskoplampen, in dem sich das Leben dem Rhythmus eines Clubs anpasste, in dem die Nacht zum Tag gemacht wurde.
Ohne aufzublicken ließ Bruce seine Hand einmal quer über den Gitarrenhals gleiten. Der rasiermesserscharfe Sound durchschnitt die rauchgeschwängerte Luft. Bruce spielte weiter, seine Finger tanzten zwischen den Bünden, ließen erst Melodien, dann Akkorde erklingen, während sie sich den Gitarrenhals hinab- und wieder hinaufarbeiteten. Köpfe drehten sich zur Bühne um. Gespräche verstummten. Innerhalb weniger Sekunden waren alle Augen auf den Gitarristen gerichtet, dessen Gesicht im Schatten seiner Haare lag, die ihm über die Augen fielen.
»Er hatte den ganzen Laden sofort im Griff.« Geoff Potter, Toms neunzehnjähriger Sohn aus erster Ehe, arbeitete mit seiner Stiefmutter am Eingang. »Normalerweise war da oben zwischen den einzelnen Auftritten eine ziemliche Geräuschkulisse«, erzählt er. »Aber als er auf der Bühne stand und seine Freeform-Riffs spielte, war innerhalb von fünf Minuten außer seiner Gitarre kein Mucks mehr zu hören.«
Einige der Musiker kannten Bruce noch aus seiner Zeit bei den Castiles. Ein paar andere hatten schon einmal von einem Gitarristen aus der OCCC-Ecke gehört, der Eric Clapton und Jeff Beck erstaunlich gut imitieren konnte. Doch von der enormen Energie und musikalischen Finesse dieses Mannes waren alle Anwesenden überrascht, ganz zu schweigen von der elementaren Power, die er in dem Raum freisetzte.
Nachdem sie ihn einige Minuten lang vom Eingang aus beobachtet hatte, stieg Margaret die Treppe zum ersten Stock herab, wo das Green Mermaid Café seine Räumlichkeiten hatte, und suchte nach Sonny Kenn. »Du musst unbedingt raufkommen und dir das ansehen!«, drängte sie ihn. »Da steht ein Typ auf der Bühne, der Gitarre spielt und sich wie Clapton anhört!« Kenn folgte ihr nach oben. Obschon der nach dem neuesten Schrei gekleidete Stargitarrist den Kerl auf der Bühne in der zerrissenen Jeans, die anstelle eines Gürtels von einer Kordel zusammengehalten wurde, zunächst ein wenig argwöhnisch beäugte (»Er sah aus wie der beschissene Tiny Tim 1 «, so Kenn), sah er ihn sich an und hörte ihm zu. Und in Anbetracht des geradezu übermütig klingen Bluessounds, der durch den Club hallte, nachdem sich der Upstage-Stammgast Big Bad Bobby Williams ans Schlagzeug gesetzt und auch der ehemalige Motifs-Bassist Vinnie Roslin zu seinem Instrument gegriffen hatte, legte sich Kenns Skepsis rasch. »Es war irgendwie cool«, sagt er. »Ich weiß noch, dass ich dachte: ›Mannomann, der hat’s echt drauf!‹ Dieser schmächtige Kerl war auf seine Art ein wahrer Riese!«
Die Grüppchen von Gästen, die sich wenige Minuten zuvor noch unterhalten hatten, standen jetzt fasziniert vor der Bühne, und ein nicht abreißen wollender Strom von Leuten aus dem Green Mermaid und der Cookman Avenue drängte die Treppe herauf, um sich zu ihnen zu gesellen. Potters rechte Hand Jim Fainer beobachtete völlig hingerissen von der anderen Seite des Saals aus, wie ein Blues-Jam, den sie »Heavy Bertha« nannten, in Iron Butterflys »In-A-Gadda-Da-Vida«
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