Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
her ging es bei »You Mean So Much to Me«, einer neuen Eigenkomposition, die im Stil von Van Morrison begann, bevor Bruce und Van Zandt eine ausgefeiltes Zusammenspiel der Gitarren in der Art der Allman Brothers zum Besten gaben, das wiederum von einem aus Gesang und Bläsern gewebten Klangteppich abgelöst wurde, der die letzte Strophe dominierte.
Ihren zweiten Auftritt hatte die Band einen Tag später im Sunshine In als Vorgruppe für die neue, aufstrebende britische Band Humble Pie, bei der das ehemalige Small-Faces-Mitglied Steve Marriott als Sänger und Peter Frampton als Leadgitarrist mitmachten. Die Engländer hatten gerade eine grandiose Show im New Yorker Shea Stadium hingelegt (bei der Grand Funk Railroad Headliner waren), aber als sie ins Sunshine In kamen, wo Springsteen und seine Band gerade die erste Hälfte ihres Set absolviert hatten, und den frenetischen Jubel und begeisterten Applaus hörten, bekamen sie weiche Knie. Als die Vorgruppe ihren Auftritt beendet hatte, huschten Marriott, Frampton und der Rest der Band zurück in ihre Limousinen. Wie sollten sie eine derart mitreißende Show noch übertreffen? War nicht jeder Versuch von vornherein zum Scheitern verurteilt? »Der Manager des Clubs musste rausgehen und sie dazu überreden, zurückzukommen«, so Feigenbaum. »Doch ich konnte ihre Bedenken absolut verstehen. Das Publikum wollte uns gar nicht mehr von der Bühne lassen. Wir haben das Haus einfach in Grund und Boden gerockt.«
Schlussendlich gelang es den Jungs von Humble Pie, wieder Mut zu fassen und eine Show hinzulegen, die heiß genug war, um es mit der ihrer Vorgruppe aufzunehmen. Durch ihren Erfolg in dieser schwierigen Situation gestärkt, sahen sie sich die Gruppe aus Asbury Park noch einmal etwas genauer an und zogen in Betracht, sie als Verstärkung für ihre Tour zu engagieren. »Wir saßen nach dem Konzert noch ein bisschen zusammen, als Frampton mich ansprach«, erzählt Cherlin. »›Wir finden euch klasse. Wir machen eine Welttournee und hätten euch gerne als Vorgruppe dabei!‹ Er sagte, er wolle uns einen Deal bei A&M Records [dem Label von Humble Pie] besorgen und uns alle zu Stars machen. Er drehte ein bisschen am Rad, denn er hatte das alles zuvor schon Bruce erzählt, der allerdings nichts darauf gegeben hatte.«
Cherlin, der nie geglaubt hätte, dass ihm einmal jemand solche Dinge in Aussicht stellen würde, ging zu West, um herauszufinden, was davon zu halten war. Der Manager schüttelte den Kopf und lachte. »Er sagte: ›Ach wirklich, ein Major Label, ja? Na dann, viel Glück! Die werden euch abzocken!‹ Und er sah das sicher nicht falsch. Aber ich war damals erst zweiundzwanzig und Humble Pie waren eine große Nummer.« 3
Cherlin war nicht der Einzige in der Band, der sich fragte, welche Pläne West mit ihnen hatte, als er an diesem Abend das Sunshine In verließ. Im Juli hatten sie eine Handvoll Gigs, darunter auch einen spektakulären, sechzigminütigen Auftritt bei einem eintägigen Festival im Damrosch Park in New York, der sich auf dem Gelände des Lincoln Centers befand. Der Gig begann mit einem Gospel-Blues-Arrangement von »C. C. Rider«, in das eine jazzigere Version von »Down the Road Apiece« integriert war. Danach spielte die Band ein halbes Dutzend neuer Songs, die hören ließen, wie sehr sich Bruce in den vergangenen sechs Monaten musikalisch weiterentwickelt hatte. Den Anfang machte »You Mean So Much to Me« mit seinem unangestrengten Mix aus Rhythm and Blues und Southern Guitar Boogie. Dann folgten das rockige »C’mon Billy« und das von Delores Holmes gesungene »I’m in Love Again«, ein ausgelassener Springsteen-Song, der an die R&B-Girl-Groups der späten 50er- und frühen 60er-Jahre erinnerte, mit der gleichnamigen Fats-Domino-Nummer allerdings nichts zu tun hatte.
Weiter ging es mit der schnellen Party-Nummer »Dance, Dance, Dance«, die eher an eine härtere Version von »Dancin’ in the Street« erinnerte als an den gleichnamigen Beach-Boys-Song und sich insbesondere durch Bruce’ scharfen Gitarrensound und vom Bepop inspirierte Bläsersoli auszeichnete. Die letzten beiden Nummern des Abends legten die Messlatte noch ein Stück höher. Das von Dinkins (mit ein wenig Hilfe von Sancious) geschriebene »You Don’t Leave Me No Choice« begann als zweiminütige Pianoimprovisation, aus der sich eine typische »Er hat mir Unrecht getan«-Geschichte entspann, wobei Dinkins sich mit ihrem Gesang der Geschwindigkeit von Lopez anpasste,
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