Bruchlandung
einem nun unsicher wirkenden Blick und sah danach Robert Bosch an, der nur gelangweilt mit den Schultern zuckte.
»Wer nicht hören will, muss fühlen«, brummte er gereizt. »Und wenn du es unbedingt auf die harte Tour haben willst, sollst du nicht enttäuscht werden.«
Der Bruder des Rockerbosses streckte die linke Hand nach vorn, griff nach der Papierhülle und klaubte den Inhalt daraus hervor, worauf ein paar Bilder und ein Din-A4-Blatt zum Vorschein kamen. Mit spitzen Fingern hob der Jurist einen Abzug nach dem anderen an, warf einen kurzen, bestürzten Blick darauf und legte ihn wieder ab. Danach las er den knapp gehaltenen Text.
Ich, Marcel Hafenberger, versichere an Eides statt, dass ich mit Herrn Thomas Blatter eine sexuelle Beziehung unterhalten habe. In dem Zeitraum, in dem sich der Sachverhalt ereignet hat, war ich 14 und 15 Jahre alt. Herr Blatter hat mich mit Geldzahlungen und Drohungen gefügig gemacht.
Ich versichere weiterhin, dass ich in einem möglichen Strafprozess vollumfänglich gegen Herrn Blatter aussagen werde.
Kassel, 15. Dezember 2013
Zum Abschluss war das Schriftstück mit einer krakeligen Unterschrift versehen.
»Damit kommt ihr nicht durch!«, schrie Blatter hysterisch. »Das ist eine Nummer zu groß für euch. Dieser kleine, miese Stricher wird niemals …«
Er brach ab, weil er sich vermutlich selbst über seine Worte erschreckt hatte.
Frommert bedachte ihn mit einem letzten triumphierenden Blick und verließ anschließend ohne jede weitere Regung den Raum, in dem für ein paar Sekunden tödliche Stille herrschte.
»Du weißt, was wir von dir erwarten, und du weißt demzufolge, was du zu tun hast«, durchbrach Bosch das Schweigen, stand federnd auf und ließ den jetzt klein und verletzlich wirkenden Kollegen zurück. Der betrachtete mehrere Sekunden lang völlig apathisch einen imaginären Punkt an der Wand, bevor er hysterisch zu lachen begann.
»Das werdet ihr bereuen«, murmelte er. »Das werdet ihr todsicher bereuen.«
Kurz darauf, während Blatter noch immer mit gesenktem Kopf dasaß, ertönte ein leises Klopfen an der Tür, auf das der Jurist jedoch nicht reagierte. Nach zwei weiteren Versuchen wurde die Tür sanft in den Raum geschoben und das runde, besorgt wirkende Gesicht von Frau Reichenbach wurde sichtbar.
»Ihr Bruder ist vorn, Herr Blatter. Er sagt, dass er Sie unbedingt sprechen will.«
11
Deutschlands Kaffeekanne Nummer eins hatte die Beamten mit dem vertrauten Duft empfangen, der Geschmack des Kaffees hingegen hinkte im Vergleich zu Uwe Wagners Produkt um Längen hinterher, was vorrangig damit zu begründen war, dass der Pressesprecher seit ewigen Jahren auf erstklassige Sorten aus kleinen Röstereien setzte und sich jeglichem industriell hergestellten Kaffee erfolgreich verweigerte.
»Hoffentlich ist der gute Adolfo überhaupt vernehmungsfähig«, formulierte Hain einen Gedanken, der auch seinen Boss schon beschäftigt hatte.
»Das wird schon«, gab der Hauptkommissar zuversichtlicher zurück, als er tatsächlich war, und betrachtete mit schief gelegtem Kopf weiter das Tanzen der Schneeflocken vor der großen Glasscheibe und die wenigen Menschen, die sich, meist geschützt von Regenschirmen, auf der Straße bewegten.
»He, was ist denn mit dir?«, hakte Hain ein wenig besorgt nach. »Machst du jetzt einen auf Depri?«
»Nee, das nicht. Aber ich hab gerade über diesen Vasquez und diese ganze Rockerscheiße nachgedacht.«
»Und, was ist dabei herausgekommen?«
»Ungerechtigkeit, Thilo. Himmelschreiende Ungerechtigkeit.«
»Das stimmt, mein Freund, aber es ist wiederum nichts Neues für uns. Die meisten Fälle, die wir bearbeiten müssen, basieren auf verdammten Ungerechtigkeiten. Einer ist stärker, der andere schwächer, und schon brennt die Hütte. Der eine hat eine Waffe, der andere nicht, der eine hat viele Freunde, der andere nicht. So sieht die Realität nun mal aus.«
»Richtig, ja. Aber Maria hat mir gestern eine Geschichte erzählt, die sie letztes Jahr erlebt hat, und da kriege ich schon schlechte Laune, wenn ich dran denke.«
Er wiederholte in knappen Worten die Begegnung seiner Frau mit den Motorradfahrern vom letzten Sommer.
»Ja, Paul, deshalb zitieren wir so gern Marie von Ebner-Eschenbach. Das Recht des Stärkeren ist das stärkste Unrecht, hat sie irgendwann mal gesagt und damit den Nagel auf den Kopf getroffen. Und ändern oder beeinflussen können wir beide das nur in dem uns vom Gesetzgeber abgesteckten, total engen
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