Bruder Cadfaels Buße
keine Heilige war. Gleichwohl kannte jeder in seinem wehen Herzen ihren Hochmut und ihre Rachsucht, und es schmerzte einen wie den anderen. Yves aber war nun mit dem herausgeplatzt, was er von ihrem Wesen erkannt hatte.
»Aber dieser de Soulis hat sich insgeheim mit dem Feind verschworen«, sagte er jetzt, sich erneut dem Thema und seiner Feindseligkeit zuwendend, »hat ihm Zutritt zu Faringdon verschafft und jeden der kühnen Ritter und Schildknappen, der nicht bereit war, seinen Weg zu gehen, gefangen gesetzt. Zu ihnen gehörte Olivier! Wäre de Soulis bei seiner Entscheidung aufrichtig gewesen, hätte er ihnen die ihre ermöglicht, ihnen die Tore geöffnet und ihnen einen ehrenhaften Abzug mitsamt ihren Waffen gewährt - mochten sie von einem anderen Stützpunkt aus weiter gegen ihn kämpfen. Aber nein, er hat sie verraten und verkauft - und mit ihnen Olivier. Das kann ich ihm nicht verzeihen.«
»Geduldet Euch«, forderte ihn Bruder Cadfael auf, »bis wir Kunde von dem haben, was wir am dringendsten zu erfahren wünschen, nämlich wo wir nach ihm suchen müssen. Zerstreitet Euch mit niemandem, denn wir wissen nicht, welcher der Männer hier uns eine Antwort zu geben vermag.« Und wenn wir die Antwort haben, dachte er mit einem nachsichtigen Blick auf Yves' gerunzelte Stirn und das entschlossen vorgeschobene Kinn, dann sind Racheakte möglicherweise bedeutungslos geworden und nicht mehr erforderlich.
»Mir bleibt keine Wahl, als Frieden zu halten«, sagte Yves schicksalsergeben, aber mit unverkennbarem Unmut und gab sich trotz dieser Einsicht weiter seinen finsteren Gedanken hin. Ein Novize aus der Priorei kam, um nach ihm Ausschau zu halten, da die Kaiserin ihn zu sprechen begehrte. Der junge Klosterbruder nannte sie in aller Unschuld die Gräfin von Anjou. Das hätte ihr mit Sicherheit nicht gefallen. Nach dem Tod ihres schon recht betagten ersten Gemahls Kaiser Heinrich V. bestand sie auf dem Titel Kaiserin und verlangte auch, als solche behandelt zu werden; daß sie wegen ihrer zweiten Eheschließung nur noch eine bloße Gräfin war, sagte ihr in keiner Weise zu.
Gehorsam befolgte Yves die Aufforderung, wobei er nicht wußte, ob er sich freuen oder Furcht empfinden sollte. Mehr oder weniger rechnete er damit, daß ihn die Kaiserin für die unziemliche Szene auf dem Hof zur Rechenschaft ziehen würde. Bisher hatte sie ihn ihr Mißvergnügen noch nie spüren lassen, doch war er bereits Zeuge gewesen, mit welcher Schärfe sie ihrem Tadel Ausdruck zu verleihen wußte. Das stand in scharfem Gegensatz zum bezaubernden Wesen, das sie an den Tag legen konnte, wenn ihr danach zumute war. Vereinzelt hatte er während seines kurzen Aufenthalts in ihrer Umgebung solche Glücksmomente genossen.
Eine der Hofdamen, eine ausnehmend hübsche dunkelhaarige junge Frau mit munteren Augen, erwartete ihn auf der Schwelle zu den Gemächern der Kaiserin im Gästehaus des Priors. Yves kannte sie nicht. Sie trat mit einer Selbstsicherheit und Kühnheit auf, die an ihre Herrin gemahnten. Mit raschem Blick musterte sie Yves von Kopf bis Fuß, als müsse er eine Probe bestehen, bevor man ihn einlassen konnte. Erst nach einer Weile ließ sie sich zu einem Lächeln herbei, dem zu entnehmen war, daß sie ihn etwas mehr als nur annehmbar fand. Leider merkte er es kaum.
»Tretet näher, sie erwartet Euch. Der Graf von Norfolk scheint Euch empfohlen zu haben.« Während sie über die Schwelle ins Gemach der Kaiserin trat, senkte sie den Blick und erwies ihr mit wohl einstudierter Anmut ihre Reverenz. »Kaiserliche Hoheit, Messire Hugonin!«
Die Kaiserin thronte in ihrer gewohnten majestätischen Haltung auf einem hölzernen Sessel mit Armlehnen und mehreren Kissen. Das dunkle Haar war gelockert und fiel ihr in einem glänzenden schweren Zopf über die Schulter. Sie trug ein lose fallendes Kleid aus nachtblauem Samt, das ihre elfenbeinweiße Haut sanft schimmern ließ.
Das Kerzenlicht schmeichelte ihr. Mit ungekünstelter Hingabe beugte Yves vor ihr das Knie und erwartete dann stehend ihre Befehle.
»Laßt uns allein!« sagte die Kaiserin ohne einen Blick auf die wartende junge Frau und die ältere Hofdame zu werfen, die neben ihr stand. Als beide den Raum verlassen hatten, fuhr sie fort: »Tretet näher! Zu viele begierige Ohren lauschen hier an zu vielen Türen. Noch näher!
Laßt mich Euch ansehen.«
Ein wenig befangen stand Yves da, während die großen byzantinischen Augen langsam und nachdenklich über ihn glitten, ähnlich der
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