Bruderdienst: Roman (German Edition)
sein, dass du in Südkorea besser zurechtkommst. Dann buchen wir die Flüge, und es geht heimwärts. Wir werden dir auch helfen. Mit Arbeit und Geld und so.«
»Seit ich Seoul gesehen habe, stelle ich mir immer wieder vor, ich stehe auf der Straße, habe kein Bett und kein Dach über dem Kopf und weiß nicht, wohin. Du weißt schon, was ich meine. Hast du eigentlich eine Frau, Kinder, eine Familie?«
»Ich hatte eine Familie. Und ich habe eine Tochter. Sie heißt Anna-Maria und ist bald acht Jahre alt. Aber meine Frau und ich haben uns getrennt. Ehescheidung. Gibt es das in Nordkorea auch?«
»Ja, das gibt es bei uns auch. Ich habe die Welt noch nie von oben gesehen. Sie sieht schön aus. Warum habt ihr euch getrennt?«
»Sie hat einen anderen Mann gefunden, und ich war wirklich sehr wenig zu Hause. Nicht nur wegen der Arbeit, wir hatten uns irgendwie nichts mehr zu sagen. Es ist gut so, wie es jetzt ist. Nur meine Tochter sehe ich viel zu selten.
Was ist mit deiner Tochter? Die, die gesagt hat, euer Geheimdienst wäre böse und brutal.«
»Ach, vielleicht hat sie das nur gehört und es nachgeplappert.«
»Und wie alt ist diese Tochter?«
»Sie ist jetzt zweiundzwanzig. Das ist lange her.«
»Was ist lange her?«
»Das mit meiner Familie. Ich hatte eine, so wie du.«
»Aber zuletzt hast du allein gelebt?«
»Ja. Ich war allein. Und das war gut so.«
Er will nicht über diesen Bruder reden und er will nicht über seine Familie sprechen. Irgendetwas ist da passiert.
»Erzähl mir noch mal genau, wie du von Pjöngjang an die Küste gekommen bist.«
»Zu Fuß«, sagte er. »Du weißt ja bestimmt schon, dass wir sehr viel zu Fuß gehen. Oft zwanzig, dreißig Kilometer für einen Weg. Das ist normal.«
»Für Essen?«
»Meistens für Essen.«
»Aber die Regierung muss das doch irgendwie begründen.«
»Wir sind im Krieg, das ist immer schwer.«
»Herrgott, ihr seid nicht im Krieg, Kim.«
»Doch, gegen die Vereinigten Staaten von Amerika.«
»Das ist einfach nicht wahr. Gegen die seid ihr ein Fliegenschiss. Wenn ihr nicht eine Atombombe verkauft hättet, würde niemand euch überhaupt wahrnehmen.«
Verdammte Hacke, Müller, lass ihn endlich in Ruhe, du siehst doch, dass er schon wieder zittert.
»Tut mir leid«, murmelte Kim. »Und wir haben kein Friedensabkommen zwischen uns und Südkorea«, setzte er hinzu.
»Nein, ihr habt eine total militarisierte Grenze zwischen euch zugelassen. Es gibt keine andere auf der Welt, die so verrückt ist. Und ihr habt heimlich Tunnels unter dieser Grenze durchgegraben. Jede Menge Tunnels. Das ist dein Geheimdienst, das ist krank, Junge.«
Kim antwortete nicht mehr, er sah hinab auf den Wolkenteppich unter ihnen.
»Ist denn dein Bruder ein Raketenspezialist?« Müller konnte es einfach nicht lassen. Er wollte unbedingt dahinterkommen, was mit Kims Bruder passiert war.
»Nein, auf keinen Fall.«
»Spielt denn dein Bruder eine Rolle in eurem Geheimdienst?«
»Das weiß ich wirklich nicht.«
»Hat dir dein Bruder wehgetan, dir Schmerzen zugefügt?«
»Bitte, Charlie. Als du im Hotel auf diesen Mann geschossen hast, war das auch Krieg, oder? Und ich weiß nicht einmal, ob du wirklich Charlie heißt.«
»Ich heiße wirklich Charlie«, sagte Müller wütend und fühlte sich schuldig.
Krause dachte, dass er unbedingt Boris vom russischen Geheimdienst in Moskau anrufen müsste. Mittlerweile war der Transport der Atombombe in eine Hafenstadt am Japanischen Meer offiziell bestätigt. Über den Weitertransport hatte der General nichts sagen können, er nahm jedoch an, dass die Kiste, in der er die Bombe transportiert habe, in einen Container umgeladen worden sei, um sie dann auf dem Seeweg weiterzuschicken. Über das eigentliche Ziel der Bombe wisse er nichts, lediglich dass der Transport nicht auf Befehl des Staatschefs erfolgte, sondern auf Befehl eines hohen Generals des Geheimdienstes. Es war keine Rede davon, dass Russland dem Asylersuchen des Generals stattgeben würde.
»Geben Sie mir Boris in Moskau«, bat er sein Sekretariat.
Dann dachte er an den 24. April. Da war Svenja in Peking angekommnen. Sie hatte lediglich der Ablenkung gedient, also sollte man sich auf die erste Woche ihres Einsatzes konzentrieren. Da musste irgendetwas passiert sein.
»Moskau in der Leitung«, meldete seine Sekretärin.
»Hallo, Boris. Schöne Grüße ins Rote Reich.« Krause freute sich, wieder einmal Russisch sprechen zu können.
»Zu der Zeit war vieles
Weitere Kostenlose Bücher