Bruderdienst: Roman (German Edition)
wurde, vergaß man die Sache sehr schnell und ziemlich gründlich. Eine Geschichte aber lässt aufhorchen. Sie hatte vor zwei Jahren eine besonders lebhafte Periode. Sie traf unseren beliebtesten Milliardär, den Glen Marshall, ungefähr sechsmal und …«
»Gibt es Beweise?«, fragte Krause schnell.
»Es gibt ein Foto«, nickte Sowinski. »Da steigt sie zusammen mit diesem Marshall aus einem kleinen Privatflugzeug. In Miami. Das Flugzeug gehört Marshall, und er grinst, als habe er gerade einen Sechser im Lotto gelandet, obwohl der in diesen Kreisen bekanntlich belächelt wird. Sie wird von einigen Leuten als scharfe Henne bezeichnet, Originalzitat. Aber ich weiß nicht, was das bedeutet …«
»Das bedeutet, dass sie ihre Ansichten ziemlich rüde durchsetzt, ganz egal, wer dabei zu Schaden kommt – oder stirbt«, erklärte Krause. »Was ist mit diesem Silverman?«
»Kommt jetzt. Silverman ist vierundfünfzig Jahre alt, ebenfalls offiziell in Diensten der CIA. Nach Fotos ist er der Regierungsdirektor Lars Young, eine genaue Beschreibung seiner Tätigkeit oder eine Spezialisierung sind nicht auszumachen, bis jetzt nicht, meine ich. Die Truppe von Goldhändchen ist schnell und gut, aber hexen kann sie auch nicht. Auf jeden Fall sind beide, Blanche und Lars, eindeutig und beweisbar dem Stab von Archie Goodwin beigeordnet. Und zwar durchgehend seit etwa sechs Jahren. Übrigens hat dieser Lars Young im April des vergangenen Jahres ein Treffen mit einem gewissen Ben Wadi gehabt, den Müller für uns in Zürich besuchte. Sie trafen sich auf Mauritius. Wadi war dort, um auszuspannen, sagt die Bildunterschrift. In der heißt Ben Wadi übrigens Ben Hadsch Abdul Aziz, und ich wette, er hat auch Papiere auf diesen Namen. Er wird ganz unverhohlen als Königskind bezeichnet. Lars Young bekommt den Titel eines amerikanischen Geschäftsmannes, dessen Name mit Ben Schuster angegeben ist. Das Ganze erschien großflächig in der Samstagsausgabe einer Zeitung auf Mauritius, die regelmäßig über VIPs berichtet, die auf der Insel einfallen.«
»Mein Dank an Goldhändchen. Was hat die Sache mit dem Bruder unseres Kim ergeben?«
»Nicht so richtig viel«, antwortete Sowinski. »Dieser Il Sung Choi muss tatsächlich Macht haben, denn wann immer der Staatspräsident Regierungsmitglieder in Ausland schickt, ist Il Sung Choi dabei. Er taucht auf zahlreichen Pressefotos auf, wird aber nie einem bestimmten Amt oder einer bestimmten Tätigkeit zugeordnet. Da steht bestenfalls sein Name, niemals seine Funktion oder Spezialisierung. Das letzte Foto zeigt ihn in einer kleinen Delegation im Kreml zusammen mit seinem Herrn und Meister. Das ist übrigens der einzige Ort auf der Welt, an den sich Kim Jong Il außerhalb Nordkoreas traut. Und immer mit der Eisenbahn, er hat nämlich Flugangst. Was jetzt?«
»Jetzt warten wir einfach, was passiert, verdammt«, gab Krause unerwartet grob zur Antwort. Er war sichtlich wütend, und da Sowinski ihn ganz erstaunt ansah, schob er nach: »Das geht nicht gegen dich, es ist nur dieser ganze Zirkus.«
»Wie geht es deiner Frau, wenn ich fragen darf.«
»Die Operation ist gut verlaufen, ich konnte kurz bei ihr sein. Sie hat gelächelt. Danke der Nachfrage, vielen Dank. Wann ist denn Müller zurück?«
»Er landet gegen zwanzig Uhr.«
»Er muss noch einmal zu Ben Wadi. Habt ihr inzwischen diesen Shawn aufgetrieben, den Praktikanten aus der Botschaft in Peking?«
»Noch nicht. Jetzt ist Ferienzeit, und die Leute in den Botschaften sind häufig nicht en poste . Außerdem wechseln diese Praktikanten verdammt oft, das kennst du ja.«
»Wir kommen einfach nicht weiter, verdammt noch mal. Eigentlich müssten wir die Schlagzahl erhöhen, aber dafür wissen wir noch nicht genug.« Krause hörte sich plötzlich selbst zu und fand sich geradezu abstoßend. Er hatte entschieden etwas gegen Menschen, die im Stress zu brüllen anfingen. Jetzt brüllte er selbst, und das war mehr, als er ertragen konnte.
»Wir sind alle erledigt«, bemerkte Sowinski geradezu gelassen.
»Und was, bitte, sollen wir dagegen unternehmen?«, schnaubte Krause.
»Ein paar Stunden Pause machen«, befand Sowinski. »Du sagst doch selbst immer, das Innehalten sei ein wichtiger Baustein in unserer Arbeit.«
»Ich muss verrückt sein«, bemerkte Krause.
»Ja«, stimmte Sowinski ergeben zu.
Das Sekretariat meldete: »Herr Esser!«
»Soll reinkommen«, sagte Krause schnell.
Esser öffnete die Tür, trat ein, sah ihre Mienen, roch den
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