Bruderdienst: Roman (German Edition)
»Er hat seine Sache trotz allem gut gemacht. Es ist nur eine gewaltige Kacke – ich kann es nicht anders ausdrücken -, dass seine Mutter gestorben ist, als er weg war.«
»Oh Gott!« Krause fragte: »Wird er es packen?«
»Ich weiß es nicht«, murmelte Sowinski. »Wer weiß so was schon? Er ist ein guter Junge.«
Sie stand in der Tür ihrer Wohnung und strahlte ihm entgegen. Dann fiel sie ihm in die Arme. »Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Im Dienst werden sie schon über mich gelacht haben.«
»Ach was. Krause hat sogar gesagt, er könne das mit uns ganz gut aushalten. Und jetzt lass mich endlich rein, oder wollen wir im Treppenhaus stehen bleiben?«
»Was ist mit der Wunde? Hast du Schmerzen?«
»Nein, habe ich nicht. Ich brauche jetzt nur unheimlich viel Seife und ein großes Handtuch, denn ich stinke wie ein Bock.«
Sein Handy piepte. Nach einem Blick auf das Display drückte er die Verbindung weg.
Svenja löste den Gürtel seiner Jeans. Das Handy piepte erneut.
»Ja?«, meldete er sich.
Ihr Gesicht war sehr dicht an seinem.
»Ach, da bist du ja endlich, Junge«, sagte seine Mutter.
Svenja zog ihren Kopf ein paar Zentimeter zurück und hielt sich die Hand auf den Mund.
»Mutter, wie geht es dir?«
»Na, ich bin im Haus. Und du bist nie erreichbar!«
»Ich komme in den nächsten Tagen mal vorbei, Mutter. Versprochen.«
»Das sagst du jedes Mal, und dann kommst du doch nicht. Ich war bei der Bank, ich weiß jetzt, was das Haus hier wert ist.«
»Das ist schön.«
»Kannst du dich an den alten Morgenstern erinnern?«
»Morgenstern?«
»Hugo Morgenstern. Drei Häuser weiter. Der hat mich ins Kino eingeladen. Stell dir das mal vor.«
Svenja hatte alles mitgehört und konnte sich nicht mehr halten. Sie warf sich bäuchlings auf ihr weißes Ledersofa und strampelte mit den Beinen.
»Mutter, hör zu. Ich bin gerade in einer Besprechung. Wir können morgen wieder telefonieren, ja?«
»Ja, Junge. Aber wirklich!« Sie klang ein wenig beleidigt.
»Ach, die lieben Mütter«, sagte Svenja spöttisch und musste wieder lachen. Dann wurde sie unvermittelt ernst, stand auf und zog ihm vorsichtig das Hemd aus.
»Was war es denn?«
»Zimmerflak«, sagte er.
»Damit kannst du nicht unter die Dusche.«
»Nein, kann ich nicht.«
»Ich wasche dich ab. Na, dann komm.«
Sie hatten es nicht bis ins Bad geschafft, waren sehnsüchtig auf dem weißen Sofa übereinander hergefallen und hatten sich leidenschaftlich geliebt.
Jetzt lag Svenjas Kopf auf Müllers Brust, die sich unter seinem noch immer unregelmäßigen Atem hob und senkte. Mit geschlossenen Augen sagte er: »Ich habe mich so nach dir gesehnt. Du bist ein Teil von mir.«
»Ich habe manchmal Angst, weißt du.«
»Ja«, sagte er.
»Wer ist dieser Mann, den du mitgebracht hast?«
»Ich weiß nicht, wer er wirklich ist. Aber ein Teil von ihm, der, den ich bis jetzt zu Gesicht bekommen habe, ist ein netter Kerl mit vielen Hoffnungen und vielen Ängsten. Ich hoffe, er findet irgendwo einen Platz für sich.«
»Hat er Familie zurückgelassen?«
»Er sagt, er hat keine Familie, aber ich weiß, dass das nicht stimmt, weil er einmal eine Tochter erwähnt hat.«
»Soll ich dich jetzt abwaschen?«
»Ja, bitte. Ich habe eine Salbe in der Tasche. Hast du irgendwelches Verbandszeug?«
»Ich denke schon. Wann hast du am meisten an mich gedacht?«
»Auf dem Meer.« Er streichelte sanft ihre Brust. »Es war sehr unwirklich. Die meiste Zeit haben wir nichts gesehen. Um uns herum nur Nebel.«
»Was siehst du von mir, wenn du an mich denkst?«
»Immer ist es dein Gesicht, besonders deine Augen. Und wenn ich Zeit habe, mich darauf einzulassen, dann stelle ich mir Stück für Stück deinen ganzen Körper vor. Ich liebe diese kleinen Kuhlen hier am Schlüsselbein.« Zärtlich ließ er seine Lippen ihren Hals hinabwandern.
»Jetzt setz dich mal hin und halt still. Ich schneide dir den Verband auf.« Sie ging ins Bad und kam mit einer langen Schere zurück. »Hab ich dir schon gesagt, dass ich mal Ärztin werden wollte?«
»Ich weiß viel zu wenig von dir.«
»Das kann man ändern. Nein, so geht’s nicht. Hier sehe ich nicht genug. Können wir uns an den Küchentisch setzen?
Schreibst du eigentlich manchmal Briefe? So ganz auf die alte Art?«
Sie gingen zusammen in die Küche, und Müller setzte sich auf einen bequemen Holzstuhl.
»Ja, das kann vorkommen. Ich habe schon x-mal versucht, meiner Tochter einen Brief zu schreiben. Aber das
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