Bruderdienst: Roman (German Edition)
empfangen. Er sagt, er freut sich schon. Und ich habe betont, dass wir nur mal kurz reinschauen und gleich darauf schon wieder wegmüssen. Erst dann hat er uns begeistert zu sich nach Hause eingeladen, damit wir seine Elli kennenlernen, von der ich annehme, dass sie gar nicht existiert.«
»Was wissen wir eigentlich von ihm?«, fragte Müller.
»Dass er sehr geschmeidig ist«, sagte Krause. »Es gibt böse Zungen, die behaupten, dass er jeden Morgen in ein Ganzkörperkondom steigt, um leichter durch den Tag zu kommen. Ich persönlich hatte es immer schwer mit ihm, weil ich mir nie ganz sicher war, ob er nur ein Kläffer ist oder ein wirklich scharfer Hund. Aber inzwischen ist mir das klar geworden. Er hat sich hochgedient, er hat das Ohr seines Präsidenten, wenn es kritisch wird, und man sagt, er sei mächtiger als der Chef der Behörde selbst. Tatsächlich taucht er in allen wichtigen Ausschüssen auf und ist bei nahezu jeder Operation dabei, die in irgendeiner Weise heikel ist.«
»Keine Feier ohne Goodwin, würde ich sagen.«
»Das spricht für ihn und die CIA«, sagte Svenja ironisch. »Hat er ein Privatleben?«
»Wie es aussieht, nicht. Da ist die schon erwähnte Frau Elli, von der man nichts weiß, und es besteht der Verdacht, dass er zu den Kreationisten gehört, die Darwins Lehre von der Entwicklung der Arten ablehnen und der festen Überzeugung sind, es habe sich alles so abgespielt, wie in der Bibel beschrieben. Also: Die Welt ist vor sechstausend Jahren durch Gottes persönlichen Eingriff geschaffen worden. Diese Leute behaupten, dass alle alten Knochen von Dinosauriern, die wir gefunden haben, eine bewusste wissenschaftliche Täuschung sind. Ich weiß natürlich nicht, ob Goodwin tatsächlich uneingeschränkt dahintersteht, aber zumindest arbeitet er weit draußen auf dem rechten Flügel seinem Präsidenten zu, von dem man ja auch nicht behaupten kann, dass er in irgendeiner Weise intellektuell ist.«
»Aber so etwas wie ein Privatleben hat doch jeder Mensch«, bemerkte Svenja nachdenklich.
»Sollte man annehmen«, nickte Krause. »Aber es gibt Leute, die in eine Institution hineinschlittern und sich schließlich perfekt darin einrichten, weil sie das großartig finden und weil sie an nichts anderem hängen. Irgendwann halten sie das für das richtige Leben.«
»Solche Leute haben für gewöhnlich einen Tunnelblick«, sagte Müller.
»Ja, wahrscheinlich. Aber möglicherweise tun wir Archie auch Unrecht, vielleicht ist er ja ganz anders.« Krause zupfte an einem Salatblatt herum, mehr als ein Drittel dieses Gebirges an Nahrungsmitteln würde er ohnehin nicht schaffen.
»Das glauben Sie doch selbst nicht«, sagte Müller und grinste.
»Stimmt.« Krause seufzte. »Wenn Sie mich nach Archie fragen, muss ich gestehen, dass ich mich immer an den ganz irrationalen und zutiefst beunruhigenden Eindruck erinnere, den er bei mir hinterlässt. Wenn wir uns treffen, miteinander sprechen und uns anschließend verabschieden, dann ist es hinterher so, als wäre er gar nicht da gewesen. Ich hatte bei früheren Gelegenheiten sogar das fatale Gefühl, mich anschließend nicht mehr an sein Gesicht erinnern zu können.«
»Wunderbar«, sagte Svenja heiter. »Das macht ihn zum idealen Spion. Obwohl ich gestehen muss, dass mein Eindruck von ihm ein anderer war.« Nach einer kurzen Pause fragte sie: »Haben Sie denn eigentlich so etwas wie eine Religion?«
Krause sah sie milde lächelnd an. »Zunächst einmal glaube ich an menschliche Ordnung, an unsere Fähigkeit, unser Leben so zu leben, dass möglichst wenig Gewalt entsteht. Selbstverständlich haben wir dann ein Problem: Es sieht so aus, als brauchten wir katastrophale Ereignisse, weil die Erde so viele Menschen nicht tragen kann. Immerhin sind wir noch nicht fähig, in den Weltraum auszuweichen. Vielleicht können wir das nie, vielleicht gehen wir dabei unter. Aber der Geist des Rechtes und der Ordnungen ist zunächst stark genug, um zu leben. Und: Wir haben ja die Güte. Wenn Sie mich fragen, ob ich an den lieben Gott glaube, muss ich antworten: Nein. Denn der liebe Gott ist auch nur ein menschlicher Traum. Ich glaube, ich bin ein typischer Vertreter: Ich sitze zeit meines Lebens zwischen den Stühlen. Aber ich sitze bequem.« Er räusperte sich und setzte dann hinzu: »Du lieber Himmel, ich fange an zu philosophieren. Vergessen Sie das einfach.«
»Ich hätte bei Ihnen Gott vermutet oder zumindest irgendein Geistwesen«, sagte Müller. »Was ist denn mit
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