Bruderdienst: Roman (German Edition)
dem Vaterland?«
»Das ist ein ganz schwieriger Kandidat«, antwortete Krause schnell. »Aber man soll die Hoffnung nicht aufgeben, dass er eines Tages erwachsen wird. Nein, sagen wir so: Ich diene meinem Land in der Hoffnung, es zu erhalten. Le Carré hat seinen Agenten Smiley einmal sagen lassen, er schulde seinem Land Dank. So fühle ich auch. Jetzt ist es aber wirklich gut. Ihr wollt mich vorführen, ihr jungen Leute, ihr schrecklichen Halunken.«
Sie wussten, dass er nur mühsam seine Rührung verbergen konnte, und wandten diskret den Blick ab.
Der »erste positive Kontakt« wurde von Esser um 23.17 Uhr verzeichnet, und er reagierte so aufgeregt, dass er seinen Kamillentee vom Schreibtisch fegte.
Im Grunde war es gar nicht Esser, der diesen Kontakt zustande brachte, es war vielmehr Thomas Dehner. Auf dessen Apparat ging ein Anruf von draußen ein. Dehner hatte sich gerade nach über zwanzig nahezu gleichermaßen erfolglos verlaufenen Telefongesprächen verbittert gefragt: Was habe ich denn überhaupt mit dem verdammten Containerverkehr zu tun?
Es war Goldhändchen, der in seiner ausufernden Fantasie beschlossen hatte, ein von ihm sogenanntes Einheitsfax an die Chefs der großen Verladefirmen in den internationalen Häfen zu schicken, gleichzeitig aber auch alle Reeder anzufaxen, deren Adressen sie hatten. Nach Goldhändchens eigener Auskunft hatte er das Fax über einen Rechner an sechstausend Adressen gejagt, und man muss wohl annehmen, dass er die möglichen Konsequenzen nicht ausreichend bedacht hatte.
Selbstverständlich hatte das Schriftstück den Stempel STRENG GEHEIM bekommen, aber alles in allem war es der offenste Brief, der jemals aus der Bundesrepublik Deutschland und in ihrem Namen versandt wurde. Goldhändchen hatte ihn eine Stunde lang entworfen und dabei berücksichtigt, dass keiner der Adressaten etwas Längeres als eine Postkarte von Anfang bis Ende lesen würden. Es gab dieses Fax auf Deutsch, Englisch, Chinesisch, Japanisch, Französisch, Spanisch und Urdu.
An die Damen und Herren Leiter und Chefs!
Die Sicherheitsberater der Bundesrepublik Deutschland bemühen sich dringend um die Auffindung von insgesamt sechs Containern, die mit Motoren für Schnellfeuerkanonen gefüllt sind, Herkunft unbekannt, Ziel unbekannt. Krieg ist der Tod des Handels. Es ist sicher, dass einer dieser Container eine aus dem Rahmen fallende Bezeichnung trägt (wahrscheinlich an der Seite und auf dem Deckel). Es sind die Ziffern 1-0-8-0. Der Finder möge sich rasch melden. Er kassiert unseren Dank und selbstverständlich die eine oder andere gute Flasche! Anbei unsere Telefonnummern und die E-Mail-Adressen.
Niemand im Haus wusste vorher von dieser Aktion, Goldhändchen hatte selbstverständlich keinen seiner Kollegen eingeweiht. Nur seinem Lieblingsuntergebenen, einem blassen, dürren Jüngling von zwei Metern Größe hatte er anvertraut: »Die Botschaft muss so klar und eindeutig sein wie eine Urlaubskarte an Tante Erna.«
Die strikten Gegner Goldhändchens, die immer schon gewusst hatten, dass das nicht ewig gutgehen könne mit ihm, sahen vorübergehend einen goldenen Hoffnungsschimmer am Horizont, weil sie dachten: Das bricht ihm das Genick! Jetzt ist er fällig!
Stattdessen brach erst einmal jede Kommunikation zusammen, weil der Ansturm gewaltig war. Es gab eine Anhäufung von Fragen nach den genauen Maßen der Container, nach Gewichten, nach terminlichen Anhaltspunkten, nach Absender und Adressaten, nach Schifffahrtslinien, Bahnlinien und möglichem Truckverkehr, und man bot sofort und ohne Zögern Container an, auf denen alle möglichen zusätzlichen schriftlichen Botschaften von Mensch zu Mensch zu entdecken waren, so die mit schwarzer Farbe auf den Deckel eines lichtblauen Behälters gepinselte Botschaft: »Johnny! Du bist der Beste!«
Um 23.06 Uhr schrillte das Telefon auf Dehners Schreibtisch, und Goldhändchen sagte unterdrückt lachend: »Nimm den mal, Schätzchen!«
Ein tiefer Bass meldete sich mit: »Groom, Hanjin.« Es folgte etwas, was Dehner zunächst für Englisch hielt, dann jedoch zu dem Schluss kam, dass es eine Sprache war, die er noch nie zuvor gehört hatte. Es war ein geradezu verwirrendes Stakkato von Heullauten und kunstvoll über eine ganze Oktave schwingenden Tönen. Der Bass war anscheinend betrunken.
Dehner brüllte: »English, please! Und langsam, verdammt noch mal.«
»Uiihh!«, sagte der Bass. Und dann: »Groom hier, Hanjin Shipping. Hanjin kennst du doch,
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