Bruderdienst: Roman (German Edition)
im Kopf hat.«
»Du lieber Himmel, was sagt denn Nordkorea?«
»Bisher nichts. Aber es wäre ohnehin das erste Mal, dass Kim Jong Il Tacheles redet; er wird immer herumeiern, bis jemand ihn fragt: Wie viel willst du?
Die Sache ist doch auch deshalb so brisant, weil die sehr nervösen USA sämtliche Satelliten auf Nordkorea ausrichten und zuschlagen werden, sobald man glaubt, dass Zuschlagen richtig ist. Der Präsident in Washington ist leider aufrichtig davon überzeugt, dass der liebe Gott persönlich ihn gesandt hat. Deswegen ist von vornherein auszuschließen, dass er irgendwelche Fehler macht. Dabei macht er immer Fehler, wenn er nervös ist, ziemlich große sogar. Und deswegen sollten wir die Bombe möglichst schnell finden. Und aus dem Grund sitze ich hier und hoffe aufrichtig, dass nicht ein neuer Rumsfeld in Washington auftaucht und glaubt, er diene dem amerikanischen Volk durch Abwerfen der einen oder anderen Atombombe …«
»Sie sind ja richtig giftig«, sagte Ben Wadi erfreut, als habe er endlich den lang ersehnten Bruder im Geiste gefunden.
»Wenn man sich überlegt, dass die Amerikaner im Irak bisher jeden nur denkbaren Fehler gemacht haben, wird mir einfach schlecht. Denn ich gehöre zu den Leuten, die nach dem Besuch der USA das Haus fegen müssen.« Müller grinste ihn an, versicherte ihm damit wortlos, dass er ein Bruder im Geiste sei und die Nase voll habe von amerikanischen Regierungen der Neuzeit.
Dann geschah etwas, was Müller mit höchstem Erstaunen immer wieder erlebte: der plötzliche Einbruch des Banalen in eine heikle Situation. Eine Frau sagte mit der kieksenden Stimme einer Zwölfjährigen von irgendwoher: »Darling, ich glaube, ich habe gestern Abend meinen Brillanten verloren.« Sie sprach französisch.
Müller dachte automatisch: Mein Gott, wie peinlich! Und er beobachtete, wie Ben Wadis Kopf herumfuhr, seine Gesichtsfarbe einen Ton dunkler wurde und seine Hände sich verkrampften.
»Ruf einfach in dem Restaurant an«, sagte er erstaunlich ruhig. Es war eine Ruhe, die dem anderen signalisierte: Noch ein Wort und du fliegst!
Aber die Zwölfjährige registrierte den Unmut ihres Herrn nicht, sondern stakste auf sehr langen, sehr dürren Beinen durch den Raum auf die beiden Männer zu und bemerkte quengelig: »Jemimah hat angerufen. Sie sind auf Barbados und schlagen vor, dass wir auch hinkommen.« Natürlich war sie blond, natürlich war sie irgendwo in der ersten Hälfte der Zwanziger, natürlich trug sie einen Minirock aus Jeansstoff, der so kurz war, dass ihn nichts von einem etwas breiteren Gürtel unterschied. Und natürlich war sie überirdisch schön.
Höchst erheitert dachte Müller: Die gibt es nicht!
»Ich bin gerade in einer Besprechung!«, stellte Ben Wadi fest. »Und wir fliegen nicht nach Barbados. Ich habe zu arbeiten.«
»Oh ja, sicher«, nickte sie. Dann drehte sie sich um und stolzierte wieder davon. Sie nahm sehr schnell Fahrt auf, sodass ihre blonde lange Mähne sich im Luftzug bewegte.
»Ich entschuldige mich«, murmelte Ben Wadi nach einer Weile. Dann setzte er erklärend hinzu: »Sie ist Schwedin.«
»Ich bitte Sie«, gab Müller zurück. Und jetzt, mein Freund, kommen wir endlich zum Eingemachten.
»Können wir kurz über die Übernahme der niederländischen ABN AMRO durch die Barclays Bank in London sprechen? Ich meine, wie lief das ab? Dieses Unternehmen hat vierzigtausend Beschäftigte, weltweit sind es einhundertfünftausend, hat in Brasilien, den USA sowie Italien eigene Banken, verfügt über viertausendfünfhundert Filialen; die Deutsche Bank wirkt dagegen wie ein Zwerg. Da kommt der Hedgefonds TCI und kauft den Koloss für etwas mehr als sechsundsiebzig Milliarden. Wir müssen uns hier nicht darüber streiten, mit wie vielen Milliarden Sie dabei sind. Nach unserem Kenntnisstand sind es sechzehn. Mir geht es um etwas anderes. Angesichts dieser Summen frage ich mich, ob, sagen wir mal, eine geschätzt Milliarde als Kaufpreis für eine Bombe im internationalen Finanzmarkt überhaupt auffallen würde. Wäre diese Milliarde für die Bombe irgendwo nachweisbar, bevor sie auf den Konten der Nordkoreaner landet? Könnten wir, indem wir den Absender des Geldes zurückverfolgen, überhaupt feststellen, wer die Bombe gekauft hat?«
Das Thema ABN AMRO war Wadi peinlich, und er hatte offensichtlich nicht damit gerechnet. Er sagte missmutig und ohne Müller dabei direkt anzusehen: »Sie wissen ziemlich viel.« Dann überlegte er einen Moment. »Nein, das
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