Bruderdienst: Roman (German Edition)
Norden.«
»Geradeaus!«, zischte Müller verächtlich und dachte wütend an mögliche Driften und Winde und Strömungen und ähnlich Unberechenbares. Sie hätten ihm wirklich gleich ein Tretboot zur Verfügung stellen können.
Es war schon spät am Abend des fünften Tages, als Esser bei Sowinski anklopfte und fragte: »Hast du einen Augenblick Zeit?«
»Natürlich, setz dich. Gibt es was Neues?«
»Es scheint zu stimmen, dass Kim Jong Il innenpolitisch in einer Krise steckt. Seine Generäle wollen angeblich mehr Sold für die Soldaten und natürlich mehr Geld für sich selbst sowie eine Beteiligung an allen bäuerlichen Märkten. Klingt wie Pipifax, aber diese Märkte sind etwas, was der Herrscher nicht mehr unterdrücken kann, erste Einstiege in kleine persönliche Freiheiten. Jeder Nordkoreaner darf sein eigenes Obst und Gemüse anbauen und den Überschuss auf diesen Märkten verkaufen. Die Märkte sind immens wichtig, und jetzt sollen die Händler für ihre Stände Miete zahlen – an die Generäle.
Aber da gibt es eine weitere komische Sache, die ich dir mitteilen muss. Bei Krause war ich schon. Also, ich habe einen Verbindungsmann im südlichsten Florida sitzen. Der ist in der Regel bei allen politisch wichtigen Dingen in Mittelamerika zu befragen. Guter Mann, hat mal angefangen als Mittelamerika-Korrespondent der ARD. Und der hat die Meldung, dass möglicherweise ein Hedgefonds die Bombe gekauft haben könnte, der im Wesentlichen unter Einfluss von Ben Wadi steht, den Müller in Zürich besucht hat. Aber noch etwas ist an diesem Heuschreckenverein merkwürdig. Der US-Amerikaner Glen Marshall, Ölmagnat, auf allen Ölmärkten vertreten, soll sechs Milliarden Dollar in diesem Hedgefonds halten.«
»Und was davon ist beweisbar?«, fragte Sowinski schnell.
»Leider nichts«, seufzte Esser leise. »Wie immer! Nur Klatsch und Tratsch. Es ist so hoffnungslos, weißt du. Da sagt die Kanzlerin, sie will auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm auch über die Hedgefonds reden, dass die ungeheuren Summen transparenter werden, dass man im Zweifelsfall erfahren kann, wer dahintersteckt. Aber wer winkt denn sonst noch mit einer Gewinnspanne von dreißig bis vierzig Prozent? Da ist die Forderung nach Durchsichtigkeit doch eine geradezu lächerliche Geste. Bei dieser Art von Geschäften ist dermaßen viel Macht im Spiel, dass auch Politiker sicherheitshalber den Mund halten. Ich rede hier von den Regierungsmitgliedern von todsicher fünfzig rein kapitalistischen Staaten, inklusive Deutschland. Und ausgerechnet die Deutschen wollen nun den gläsernen Hedgefonds durchsetzen. Dass ich nicht lache.« Er durchschnitt die Luft vor seinem Gesicht mit einer scharfen Handbewegung. »Das macht mich verrückt, verstehst du? Da schwimmt eine Atombombe irgendwo herum, und es muss jemanden geben, der sie gekauft hat – und wir haben nichts, aber auch gar nichts in der Hand.«
»Also keine Spur von der Bombe?«
»Bisher nicht. Aber die UNO hat vor drei Stunden im Sicherheitsrat beschlossen, den Nordkoreanern erst einmal sämtliche Konten zu sperren. Sie kommen ab sofort an keinen einzigen Euro mehr ran, diesmal sogar mit Zustimmung der Chinesen und der Russen.«
»Glen Marshall – der Name sagt mir was. Ist das nicht dieser Typ, der einen Film für CNN gedreht hat, in dem er Alligatoren in Floridas Sümpfen jagt?«
»Genau der.«
»Und was soll der mit einer Atombombe anfangen?«
»Das weiß kein Mensch. Außerdem ist es nur ein Gerücht.«
Es war 23.40 Uhr, als die Nachricht kam, die Staatsführung des Iran habe gesagt, es sei an der Zeit, Israel vom Boden des Nahen Ostens zu wischen – und zwar bald.
Drei Minuten später klingelte eines der roten Telefone auf Krauses Schreibtisch, und der Präsident fragte: »Hat das einen ernsten Hintergrund? Wissen wir Genaueres? Die Kanzlerin will informiert werden.«
»Nein, das hat es meines Wissens nach nicht.«
»Wie weit sind wir generell?«
»Wir haben noch immer keine offizielle Bestätigung des Verkaufs. Und die Bombe haben wir selbstverständlich auch nicht.«
»Was ist, wenn das alles eine Luftnummer war?«
»Dann bin ich ehrlich gesagt froh.«
»Nordkorea wird mit einem Statement kommen«, sagte der Präsident. »Dahingehend, dass sie ein unabhängiger Staat sind, der niemandem gegenüber zu einer Auskunft verpflichtet ist. Sagt der russische Botschafter in Pjöngjang. Die Amerikaner haben einen Bomber über Nordkorea geschickt. Der hat drei Millionen Flugblätter mit
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