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Bruderdienst: Roman (German Edition)

Bruderdienst: Roman (German Edition)

Titel: Bruderdienst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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sitzen sollte? An deiner Stelle?«
    Kim hob den Kopf und starrte in die Nebelschwaden. »Viele heißen Kim«, sagte er. »Das ist bei uns ein Name, der ganz oft vorkommt. Und was solltest du mit diesem Kim tun?«
    »Gute Frage«, sagte Müller schnell. »Ich sollte mit ihm nach Europa fliegen und ihn den Amerikanern übergeben.«
    »Die Amerikaner sind schlecht. Ich will nicht zu den Amerikanern. Und ich bin nicht der richtige Kim.«
    »Das kann ich verstehen«, nickte Müller. »Sie sind nach wie vor eure Feinde, nicht wahr?«
    Kim nickte nachdenklich, und die Spannung in seinem Körper schien etwas nachzulassen. Jetzt konnte er Müller ansehen. »Wir haben die Amerikaner 1953 in einer großen Schlacht besiegt. Mein Vater hat damals gekämpft. Seitdem gibt es die koreanische Teilung, und seitdem sind die Amerikaner unsere Todfeinde.«
    Du lieber Himmel, was fange ich mit dir an? Ihr habt die Amerikaner niemals besiegt. Was sage ich dir jetzt zu einer der blödsinnigsten Grenzziehungen seit Menschengedenken? »Wenn wir in ein paar Stunden in Seoul sind, kaufen wir dir neue Klamotten, und du kannst dir in Ruhe überlegen, was du tun willst. Du kannst meine Hilfe annehmen, aber du kannst auch allein weitermachen und dir selbst einen Platz suchen.«
    »Ja?«, sagte Kim gedehnt und sah ihn voller Misstrauen an. »Ich habe aber kein Geld für neue Kleidung.«
    »Mach dir darüber keine Gedanken. Ich gebe dir das Geld.«
    Wieder dieses »Ja?« und ein noch längeres Zögern.
    Müller wurde einen Augenblick lang sehr ärgerlich. Er sagte schroff: »Geh zu dem Skipper. Er wird dir bestätigen, was die Wahrheit ist.«
    »Der Skipper gehört aber zu dir«, stellte Kim fest.
    »Ich bezahle ihn bloß«, erwiderte Müller schnell. »Wie ein Taxi.«
    Kim starrte ihn verwundert an.
    Müller hatte augenblicklich das Gefühl völliger Ohnmacht. Und er begriff, dass dieser Mann eine panische Angst davor hatte, plötzlich frei zu sein. Wie immer er dieses frei definierte, er wollte es nicht, es war gefährlich, es könnte ihn töten.
     
     
     
    Svenja rief Wu an, wenngleich sie nicht glaubte, dass die Verbindung standhalten würde. Es war eine leidvolle Erfahrung mit dem Handy, dass Verbindungen nur Sekunden hielten, wenn sie über große Distanz aufgebaut werden mussten. Aber sie war schon froh, als sie Wu sehr klar sagen hörte: »Ja, bitte?«
    »He!«, sagte sie fröhlich. »Hier ist Sissy, Sissy Pistor, du weißt doch noch, oder?«
    »Ja, und ob ich noch weiß«, erwiderte er und klang erfreut. »Wie geht es dir?«
    »Mir geht es gut. Und wo treibst du dich gerade rum?«
    »Südlich von Peking«, sagte er. Dann verlor sich eine Stimme im Rauschen.
    »Hör zu«, sagte sie, »ich möchte einiges mit dir besprechen. Das geht aber wahrscheinlich nur über das Festnetz. Oder?«
    Es kam keine Antwort. Stille. Dann ein chaotisches Stimmengewirr.
    Svenja unterbrach die Verbindung. Nach ihrer Vorstellung würde Wu jetzt den Truck auf einen Parkplatz stellen und dann versuchen, sie anzurufen. Vielleicht war er gar nicht unterwegs, vielleicht war er in seiner Wohnung, falls er überhaupt eine hatte. Und wenn er in einem gebirgigen Teil des Landes unterwegs war, musste er warten, bis er samt Truck hoch genug war, um eine Verbindung stabil zu halten. Und wie viel Uhr war es jetzt bei ihm in China? Sie dachte: Ich weiß im Grunde nichts von ihm. Außer dass er ein lieber Kerl ist. Und selbst das ist eine Annahme.
    Ziemlich genau zehn Minuten später hatte sie Wu erneut an der Strippe.
    »Wo bist du denn?«, fragte er.
    »Zu Hause. Hör zu: Kriegen wir beide eine statische Verbindung hin? Gehen wir übers Festnetz? Und wann hast du Zeit, mit mir zu reden?«
    »Ich denke, dass diese Verbindung steht. Ich bin etwa neunhundert Meter hoch, die Ebene von Peking liegt hinter mir. Was willst du wissen?«
    Ich habe nur diese eine Chance, dachte sie. Entweder er ist das, was ich denke, oder er ist es nicht.
    »Hast du die Bombe transportiert?«
    »Wie bitte?« Dann eine Pause. »Ich weiß es nicht.«
    »Was heißt das, du weißt es nicht?«
    »He, Sissy, machen wir uns nichts vor. Ich weiß es nicht. Ich transportiere verdammt viele Sachen in Kisten und Tonnen, in Schachteln, auf Paletten. Immer schön verpackt. Aber ich weiß nicht immer, was drin ist. Das kannst du mir glauben.«
    »Ja, das glaube ich dir. Warst du am 10. Juni unterwegs aus Nordkorea hinaus, möglicherweise auf der Schnellstraße nach Harbin?«
    »Das kann sein, das weiß ich nicht.

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