Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bruderdienst: Roman (German Edition)

Bruderdienst: Roman (German Edition)

Titel: Bruderdienst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
Vom Netzwerk:
entlanggefahren, als die Dicke plötzlich scharf nach links zog und auf einen großen weißen Klotz zuhielt. Der Weg führte weiter durch einen Torbogen in einen Innenhof.
    »Ich hole Onkel Samuel«, sagte Zwi und ging rasch auf das Gebäude zu. Als er zurückkam, trippelte ein kleines, dünnes Männchen neben ihm her, ein Zwerg. Der Zwerg kletterte in den Van und blickte Dehner aus freundlichen dunklen Augen an. Auf dem Kopf trug er einen lichten Filz aus langem, schneeweißem Haar, sodass er ein bisschen wie Albert Einstein zu Zeiten seines Zungenfotos aussah. Er war wohl zwischen siebzig und achtzig, schwer zu schätzen.
    »Sagen Sie mir einfach, was Sie an Drangsalen hinter sich haben«, sagte er in perfektem Deutsch.
    »Drei Männer haben mich niedergeschlagen und mich dann, als ich auf dem Boden lag, getreten. Ich weiß nicht, wie lange. Aber sie waren gründlich.«
    »Es tut Ihnen also alles weh?«
    »So ist es«, bestätigte Dehner. »Aber seit Zwi mich herausgeholt hat, geht es mir schon besser.«
    »Aha«, sagte Onkel Samuel. »Dann sagen Sie mir mal, wo es besonders wehtut. Hier? Und hier? Und hier?«
    Der Zwerg drückte verschiedene Stellen, und der Schmerz nahm Dehner den Atem.
    Onkel Samuel sagte auf Englisch zu Zwi: »Der Mann muss auf den Tisch, in diesem Automobil kann ich ihm nicht helfen.« Er sagte tatsächlich Automobil. Er nahm einen kleinen Kasten aus der Tasche seines weißen Kittels und sprach irgendetwas hinein. Nach ein paar Minuten kamen zwei dralle Krankenschwestern mit einer Trage zwischen sich aus dem Haus, fuhren die Trage mit einem Scherengitter hoch und nickten Dehner freundlich zu.
    »Das schaffe ich nicht«, nuschelte Dehner abwehrend.
    »Na ja«, erklärte Zwi. »Dann mach ich das mal.«
    Drei Minuten später lag Dehner auf der Trage, war vor Schmerzen halb wahnsinnig und hörte noch, wie eine der Krankenschwestern sagte: »Wir ziehen ihn aus, wenn er oben ist.« Dehner dachte mit letzter Kraft: Bloß nicht! – und erlebte das auch nicht mehr.
    Als er wieder zu sich kam, sah er in das gütige Gesicht von Onkel Samuel, der ihm freundlich zunickte, wobei die langen weißen Haare um sein Gesicht herum auf und ab wippten. Durch das Fenster drang bereits Tageslicht.
    »Sie waren ganz schön lange weggetreten, junger Mann. Inzwischen habe ich sie untersucht und einige Reparaturarbeiten vorgenommen. Kein Wunder, dass Ihnen alles wehtut. Ein paar Rippen sind angeknackst, und Sie haben Blutergüsse am ganzen Körper, die Sie noch monatelang an Ihr Abenteuer erinnern werden. Die Sache am Ohr habe ich genäht. Eine weitere Wunde haben Sie dicht über Ihrem sogenannten Zwirbel, eine Platzwunde. Auch genäht. Hätte der Unbekannte Sie vier Zentimeter südlicher getroffen, hätten Sie keine Eier mehr. Ich habe Zwi geraten, dass Sie alle zwei Stunden in lauwarmes Wasser tauchen, nicht wärmer, nicht kälter. Ich habe ihm auch Schmerzmittel für Sie gegeben und ein solides Schlafmittel. Ferner etwas, das die Blutergüsse abbaut und das Blut schön flüssig macht. Und noch etwas: Bewegen Sie sich so viel wie möglich, egal, wo Sie gerade sind. Fangen Sie sofort mit Ihren Zeigefingern an, und bewegen Sie immer die Füße, ob Sie liegen oder sitzen. Jetzt nehmen Sie noch diese Pille hier, damit Sie unterwegs nicht den Geist aufgeben. Und gute Reise, mein Lieber, grüßen Sie mir Deutschland.«
    Dehner wurde hochgehoben und auf eine Trage gelegt, er spürte keinen Schmerz mehr. Die beiden stämmigen Krankenschwestern schoben ihn auf einen langen Flur hinaus, auf dem bereits einige nachdenkliche und schüchterne junge Frauen herumstanden und sich miteinander im Flüsterton unterhielten. Es ging in einem Aufzug abwärts. Die kühle Morgenluft tat ihm gut und löste die Nebel in seinem Hirn.
    »Was passiert jetzt mit mir?«, fragte er leicht zittrig.
    »Ich nehme dich mit zu mir«, lächelte Zwi mit seinem Pferdegebiss. »Und Grete kümmert sich um diese Edda.«
    »Ich möchte gern meine Mutter …«, sagte Dehner plötzlich aufgeregt. »Wo ist mein Handy?«
    »Das habe ich«, antwortete der kleine Dicke. »Und ich heiße Geronimo.« Er reichte Dehner das Telefon.
    Als er ihre Stimme hörte, wusste er, dass er wahrscheinlich nicht rechtzeitig zurückkommen würde. Die Stimme klang nach sechzig bis achtzig Zigaretten am Tag, und sie rauchte seit zehn Jahren nicht mehr.
    »Ich bin’s«, sagte er schwach. »Ich denke, ich bin in zwei bis drei Tagen daheim.«
    Sie räusperte sich unendlich lange und immer

Weitere Kostenlose Bücher