Bruderdienst: Roman (German Edition)
Krähe.
Svenja war alarmiert und verblüfft. »Sie meinen, dass die, die ich kennenlernte, nur vorübergehend dort waren, um irgendeine Spezialaufgabe zu erledigen?«
»Genau das sollten Sie schleunigst abklären«, nickte er. »Und dann dürfen wir die Leute nicht vergessen, die die Bombe gekauft haben. Auch die werden unbedingt daran interessiert sein, dass der Deal nicht öffentlich wird. Versetzen Sie sich in die Lage des Käufers. Der ist ja auch nicht unabhängig von seinen eigenen spezifischen Umständen. Er kann ja nicht laut jubeln: Hurra, ich habe die Bombe! Dann kann es sechs Wochen dauern, ehe er sich das Ding überhaupt ansehen kann. Schlimmer: Er kann wissen, dass die Bombe heil dort angekommen ist, wo er sie haben wollte. Aber was passiert jetzt?« Esser legte die Handflächen unter seiner beachtlichen Nase gegeneinander und wartete, bis er sicher war, dass jedes seiner Worte bei Svenja angekommen war. Dann fuhr er fort.
»Er muss die Bombe dort lassen, wo sie ist. Er hat nicht die geringste Chance, das furchtbare Ding jemals zu sehen. Er kann sich nicht frei bewegen, er ist ein Mann mit großer Verantwortung, meinetwegen mit riesigem Vermögen. Er wird zum Beispiel ständig von der Presse und vom Fernsehen beobachtet, er kann sich also nicht frei bewegen, ohne dass das sofort registriert wird. Es ist dabei wirklich gleichgültig, ob er ein einflussreicher muslimischer Hassprediger ist oder ein reicher Schnösel aus Australien, den weltpolitische Absichten treiben. Wenn Sie mich fragen, ist die Bombe bereits seit Monaten an ihrem Bestimmungsort. Und es gibt meiner Meinung nach nur einen oder zwei Menschen, die diese Waffe überhaupt identifizieren können.
Vergessen Sie einfach meine blöden bürokratischen Fragen, konzentrieren Sie sich darauf, was seit einem Jahr in und um Nordkorea passiert ist und was eventuell eine Fährte sein könnte. Und irgendwann treffen Sie dabei auf die Waffe. Und vergessen Sie nicht: Der Schlüssel der ganzen Affäre sind Menschen!«
Svenja nickte langsam und verließ leise das Zimmer, um im Sekretariat einen Becher Kaffee zu erobern. Dann stand sie im Dämmerlicht des Korridors und dachte nach. Sie trank keinen Schluck von dem Kaffee, merkte auch nicht, dass sie den Becher leicht schräg hielt, sodass ein dünner Strahl Kaffee auf den Teppichboden tropfte. Gedankenverloren ging sie weiter, bis sie erneut vor Essers Tür stand. Sie klopfte, wartete auf sein Herein und fragte dann leise: »Und was ist mit Karl Müller?«
»Es geht ihm gut«, sagte Esser mit ausdrucksloser Miene. »Er kommt bald nach Hause.«
Svenja dachte an Müller und dass sie sich riesig auf ihn freute. Irgendetwas musste passiert sein, aber sie wusste nicht, was. Esser war eine Spur zu knapp gewesen, obwohl es natürlich den Vorschriften entsprach, dass er keine Auskunft gab. Auf jeden Fall würde Karl bald nach Hause kommen.
Sie ging in den Raum, den man ihr technisch hergerichtet hatte, und wählte Wus Nummer. Es dauerte eine Weile, bis die Leitung aufgebaut war.
»Hallo, Sissy«, sagte er zurückhaltend.
»Hör zu, ich hab das Band vom letzten Anruf abgehört und möchte mich bei dir entschuldigen. Ich war ziemlich verkrampft. Tut mir leid.«
»Das kommt bei jedem mal vor«, sagte er großzügig. »Was kann ich noch für dich tun?«
»Wir haben hier einen Film gesehen. Aufzeichnung eines Satelliten der US-Amerikaner. Eine Kreuzung zweier geschotterter Pisten irgendwo im gebirgigen Nordosten Nordkoreas. Ein Militärkonvoi fährt durch, du mit deinem Truck hältst an. Es ist der 10. Juni dieses Jahres. Hörst du zu?«
»Und wie!«, sagte Wu mit mühsam unterdrückter Heiterkeit in der Stimme. »Ich habe damals gleich gesagt, dass die Aktion idiotisch ist. Ein kleines, schlecht inszeniertes Theaterstück von kleinen, sehr schlechten Theatermachern. Die wollten die Amis verladen.«
»Was war denn nun in der Kiste, die du nach Harbin geschafft hast?«
»Ich weiß es nicht. Ich vermute, es war aus ihren Nähereien in den Straflagern. Sie schneidern im Auftrag der Chinesen Uniformen, und das fertige Zeug kommt in diesen Kisten.«
»Wer hat dich denn für dieses schlechte Theaterstück angeheuert?«
»Es war ein Mann aus dem Transportministerium Nordkoreas, seinen Namen weiß ich nicht mehr. Er hatte Befehl von oben und sagte mir, das Ganze sei eine richtige Farce. Du weißt doch, wie so was läuft. Seine Vorgesetzten wollten unbedingt daran glauben, die Amis gelinkt zu haben.« Er lachte.
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