Bruderdienst: Roman (German Edition)
aber ich tippe auf ein Neun-Millimeter-Geschoss. Die Wunde habe ich versorgt, das heißt, ich habe Ihnen eine lange Naht gelegt, wobei ich mich bemüht habe, Ihre Muskulatur möglichst wenig anzukratzen, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Das verstehe ich.«
»Ich habe Sie vorübergehend schlafen gelegt, weil die Wundversorgung bei euch heimlichen Kriegern immer sehr penibel sein muss, weil ihr ja so schnell wie möglich wieder Krieg spielen wollt. Es ist ein blödsinniges, aber verbreitetes Wunschdenken bei euch, dass ihr schon am nächsten Morgen wieder runderneuert aufwachen könnt. Also bleiben Sie bitte liegen, werden Sie in Ruhe wach. Ich habe Verbandszeug und Medikamente hiergelassen. Und natürlich haben Sie mich nie im Leben gesehen, was bei euch Spionen ja immer der idiotischste Spruch ist.« Das war jetzt blanker Sarkasmus, aber er wirkte gut.
»Ja, das habe ich schon einmal gehört«, sagte er. »Danke schön.«
Dann klappte eine Tür. Er versuchte herauszufinden, worauf man ihn gelegt hatte. Es schien so etwas wie ein Feldbett zu sein, mit hartem, dunkelgrünem Tuch bespannt. Der Raum war weiß gestrichen, rechts von ihm stand ein Schreibtisch mit einem Drehsessel. In seiner Blickrichtung lag eine hohe Tür, zweiflügelig, verglast, Bäume dahinter. Der Himmel war bedeckt.
Er konzentrierte sich auf seinen Körper. Er war nackt bis auf die Boxershorts, sie hatten ihn also ausgezogen, aber er konnte sich an den Vorgang nicht erinnern. Am rechten Oberarm ein weißer Verband. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf die Wunde und spürte sofort den Schmerz, ganz leicht nur, nicht sonderlich störend. Dann sah er links von sich ein kleines Sofa, darauf seine Kleider. Da lag auch die Weste. Natürlich hatten sie die Waffe sofort gefunden, das war immer das Erste, was sie zu verstecken hatten: die Waffe und die gefüllten Magazine. Bloß keine Gewalt, wir doch nicht!
Eine andere Frauenstimme hinter ihm fragte: »Wie geht es Ihnen?«
»Gut«, sagte er. »Danke.«
Sie kam in sein Blickfeld: eine schlanke Frau, schmales, hübsches Gesicht, etwa vierzig Jahre alt, vielleicht fünfundvierzig.
»Ich will nur einiges klarstellen«, bemerkte sie sachlich. »Es kann durchaus sein, dass ich von offizieller Stelle gefragt werde, weshalb hier ein Deutscher in einem renommierten Hotel herumballert und Opfer hinterlässt …«
»Ist der Mann tot?«, fragte er schnell.
»Nein. Das ist er nicht«, sagte sie. »Aber wie so oft müssen wir mit viel Feingefühl das reparieren, was ihr vorher mit dem Hintern eingerissen habt. Wie kam es dazu?«
»Das weiß ich nicht, es ist mir selbst ein Rätsel. Er stand plötzlich in der Tür meines Hotelzimmers, und ich habe geschossen, weil er seine Waffe auf mich gerichtet hatte.«
»Nicht auf Ihren Begleiter, diesen merkwürdig schweigsamen Mann aus dem Norden?«
»Nein. Eindeutig nicht.«
»Heißt das, es war Notwehr?«
»Aber sicher!«, antwortete er bestimmt.
Sie sah ihn misstrauisch an. »Von wie vielen Männern wurden Sie angegriffen?«
»Drei. Die ersten zwei warteten in meinem Zimmer auf mich. Der Schütze kam wenig später hinzu, es war bestimmt nicht einmal mehr eine Minute vergangen.«
»Wie viel Hilfe hatten Sie?«
»Nur Kim. Aber der hat sich nicht bewegt. Ach so, ja, er heißt Kim.«
»Und Sie haben keine Ahnung, woher diese Männer in Ihrem Hotelzimmer stammten? Ich meine, ob es sich um Agenten handelte oder so etwas?«
»Keine Ahnung. Aber einer der Männer war eindeutig ein Weißer westlicher Prägung. Ich habe sie fotografiert, um sicherzugehen, falls eine Identifizierung notwendig ist.«
»Das ist gut«, sie lächelte. »Kann ich Kopien der Fotos haben?«
»Natürlich.«
Er stellte sich vor, wie sie im Gespräch mit sehr besorgten, kummervollen südkoreanischen Diplomaten ganz gelassen behaupten würde: »Na ja, Ihre Jungens sind ja nun auch nicht gerade das Gelbe vom Ei!« Und dann würde sie genüsslich die drei Fotos hinblättern und in die peinlich berührten Gesichter der Diplomaten sehen.
»Wir fliegen Sie heute Nachmittag aus.«
»Danke«, sagte er. »Kann ich telefonieren?«
»Selbstverständlich. Ich lasse Ihnen einen Apparat bringen. Der Raum hier ist sicher.«
»Wo ist mein Begleiter?«
»Vor der Tür«, antwortete sie und ging hinaus.
Kim kam nur Sekunden später in das Zimmer und sagte hastig: »Ich hatte Angst, dass dir etwas passiert ist. Du hast im Auto das Bewusstsein verloren. Hast du Schmerzen?«
»Nein, habe ich nicht.
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