Bruderdienst: Roman (German Edition)
Wie geht es dir?«
»Gut. Deine Leute hier sind sehr feine Menschen. Und zieh dir was an, du erkältest dich sonst.«
»Kim, wir müssen reden. Du bist der falsche Mann, klar, aber dein Bruder ist der richtige. Wie kann das sein? Wieso hatten die ein Foto deines Bruders?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte er bekümmert. »Ich weiß es wirklich nicht.«
»Wer ist dein Bruder?«
»Das kann ich auch nicht sagen. Ein mächtiger Mann, das wohl. Aber ich weiß nicht genau, wie mächtig er ist. Das musst du mir einfach glauben.«
»Wie heißt er denn?«
»Il Sung Choi. Er hat den Hausnamen meiner Mutter angenommen.«
»Und was arbeitet er?«
»Ich nehme an, er ist sehr weit oben. Er gehört zu unserer Elite.«
»Wann hast du ihn denn zum letzten Mal gesehen?«
»Vor etwa einem halben Jahr. Aber ich sah ihn nur auf der Straße in Pjöngjang, als er aus seinem Auto stieg. Ich habe ihn nicht angesprochen, und er hat mich gar nicht bemerkt. Er macht alles Mögliche, soviel ich weiß, er bekommt immer Sonderaufgaben direkt von unserem großen Führer.« Kim schien in sich hineinzulauschen, und seine Augen wirkten mit einem Mal völlig leer, als sehe er etwas, was er absolut nicht sehen wollte.
»Kannst du dir denn vorstellen, dass er Nordkorea verlassen wollte?«
Jetzt waren seine Augen groß und erschreckt. »Nein, das kann ich nicht. Das ist ganz unmöglich. Er ist ein hohes Tier, verstehst du, er hat alles, was man sich vorstellen kann. Warum sollte er Nordkorea verlassen? Er liebt Nordkorea, und er geht einmal in der Woche zum Grab unserer Eltern. Und er verehrt sie. Nein, nein, nein.« Dann versuchte er verkrampft, das Thema zu wechseln, und fragte erneut: »Hast du Schmerzen?«
»Nein«, sagte Müller und wusste plötzlich, dass dieser Bruder ungeheuer mächtig war. Und dass Kim panische Angst vor ihm hatte.
»Wir können später noch mal über ihn reden«, sagte er beruhigend. »Was ist, kommst du mit nach Deutschland?«
»Ich glaube, ja«, antwortete Kim zurückhaltend. Dann lächelte er unsicher. »Ich stelle mir vor, dass ich dieses Haus verlassen muss und draußen auf der Straße stehe. Es ist alles so fremd, verstehst du? Ich habe gar keine Wahl mehr, oder? Wie ist denn Fliegen so?«
»Fliegen ist schön.« Müller lächelte. »Kannst du mir etwas zu trinken besorgen? Und vielleicht ein Stück Brot? Einfach nur Brot.« Er ließ das rechte Bein von der Liege gleiten und stellte vorsichtig den Fuß davor auf. Es wirkte stabil, und er zog das andere Bein nach. Als er stand, reagierte sein Kreislauf, und er hielt sich an dem Schreibtisch fest, bis das Schwindelgefühl verging.
»Ich besorge dir was«, sagte Kim und ging hinaus.
Ein junges Mädchen erschien mit einem Telefon in der Hand. Sie sagte kein Wort, lächelte nur freundlich und stöpselte den Apparat ein.
Er bedankte sich und wählte die Nummer, die für alle Agenten im Außendienst so etwas wie eine Lebensversicherung bedeutete. Der Ruf kam entweder bei Esser oder bei Sowinski oder bei Krause an.
Er sagte: »Dreizehndreizehn hier.« Und hörte mit Erleichterung Sowinski sagen: »Na, endlich, Sie Reisender, wie geht es?«
»Gut, danke. Es ist so, dass ich den Bruder von Kim herausholen sollte. Jedenfalls deutet alles darauf hin. Die Kerle, die uns beide hier gejagt haben, hatten ein Foto von ihm bei sich. Und ein Foto von mir, aufgenommen, als ich im Hilton Seoul im hauseigenen Pool meine Bahnen zog. Mein Begleiter behauptet, sich das Foto des Bruders nicht erklären zu können. Er sagt, sein Bruder ist ein mächtiger Mann in Nordkorea, und er kann sich absolut nicht vorstellen, dass dieser Bruder das Land verlassen will. Dieser Bruder heißt Il Sung Choi. Die ganze Geschichte ist sehr mysteriös. Wir müssen unbedingt herausbekommen, was es mit dem Bruder auf sich hat und weshalb die beiden zeitgleich das Land verlassen wollten. Irgendetwas stimmt da nicht.«
»Das versuchen wir zu klären, sobald sie hier sind. Was ist mit Ihnen? Schwere Blessur?«
»Nein, eindeutig nicht.«
»Blessuren ausgeteilt?«
»Eindeutig ja. Wir wurden zweimal aufgespürt und gejagt.«
»Ihr Eindruck?«
»Die zweite Gruppe verhielt sich unmissverständlich. Einer von ihnen versuchte mich zu töten. Sichelschlag, Handkante in Kehlkopfhöhe.«
»Erklärung?«
»Habe ich nicht.«
»Kommen Sie nach Hause!«
Dehner war das alles höchst peinlich.
Goldberg ließ die dicke Grete in den Innenhof eines stattlichen Herrenhauses fahren, sprang aus dem
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