Bruderherz
holte ich eine Spritze und eine Ampulle Valium hervor. Ich schnippte die Plastikkappe ab, stach die hohle Nadel durch den Gummistöpsel und zog die Spritze auf. Genauso verfuhr ich mit zwei weiteren Ampullen. Mit fünfzehn Milligramm Valium in der Spritze steckte ich die drei leeren Ampullen wieder in meine Gürteltasche und schloss den Reißverschluss so langsam, dass nicht einmal ich hören konnte, wie die Zähne ineinander griffen. Mit der Spritze in der linken und der Glock in der rechten Hand steckte ich vorsichtig meinen Kopf durch die Kleiderbügel und arbeitete mich behutsam nach draußen.
Als ich mit den Füßen das Parkett des begehbaren Kleiderschranks berührte, kam mir in den Sinn, dass er womöglich gar nicht schlief. Vielleicht ruhte er sich nur aus und atmete gleichmäßig in einer Art Entspannungstrance. Nach drei Schritten stand ich auf der Schwelle des Kleiderschranks und starrte auf den auf dem Bett liegenden Orson.
Sein Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig und langsam in dem für den Schlaf typischen Rhythmus. Ich kniete mich hin, steckte mir die Plastikspritze zwischen die Zähne und kroch über den staubigen Boden. An seiner Bettkante hielt ich inne und schluckte eine weitere Welle der Übelkeit hinunter. Schweiß perlte mir von der Stirn in die Augen. Meine Hände in den Gummihandschuhen waren feucht.
Ich duckte mich auf den Boden, nahm die Spritze aus dem Mund, hielt sie mir vors Gesicht und drückte einen kurzen Strahl heraus, um die Luftblasen zu entfernen. Orson bewegte sich. Bisher hatte er mir den Rücken zugewandt, doch jetzt drehte er sich so weit um, dass unsere Gesichter einander zugewandt waren. Alles, was er jetzt tun müsste, ist, die Augen aufzumachen.
Sein linker Arm lag wunderbar frei. Ich zog meine Kugelschreiberlampe hervor, steckte sie mir zwischen die Zähne, leuchtete auf seinen Unterarm und sah die vielen Venen unter der Haut. Mit viel Geduld und Konzentration senkte ich die Nadelspitze, bis sie sich nur noch gut zwei Zentimeter über seiner Haut befand. Es bestand die Möglichkeit, dass ihn das umbringen würde. Da ich versuchte, es intravenös zu spritzen, würden fünfzehn Milligramm Valium sofort in seinen Blutkreislauf gelangen, und wenn diese Dosis sein Gehirn erreichte, würde vielleicht die Atmung aussetzen. Halt die Hände still.
Als ich die Nadel in die Unterarmvene gegenüber des Ellbogens stach, öffnete er die Augen. Ich injizierte ihm die Droge. Bitte, lass mich die Vene getroffen haben! Orson schoss hoch und rang nach Luft. Ich ließ die Spritze los und sprang zurück, dabei blieb die Nadel in seinem Arm stecken. Er zog sie raus und hielt sie sich verblüfft vors Gesicht.
»Andy?«, flüsterte er schwerfällig. »Andy?! Wie hast du…« Er schluckte mehrere Male, als ob seine Luftröhre blockiert wäre. Ich stand auf und richtete die Waffe auf ihn.
»Leg dich zurück, Orson.«
»Was hast du mir gegeben?«
»Leg dich zurück!«
Er lehnte sich in die Kissen zurück. »O Gott«, stöhnte er, »das Zeug ist stark!«
Er klang bereits benommen, und ich meinte, er hätte seine Augen geschlossen. Ich schaltete die Nachttischlampe ein, um sicherzugehen. Sie waren nur noch Schlitze.
»Was tust du, Andy?«, fragte er. »Wie hast du…« Seine Worte verloren sich.
»Du hast meine Mutter umgebracht«, erklärte ich.
»Ich glaube nicht, dass du…« Er schloss die Augen.
»Orson?« Dort, wo die Nadel in seine Haut eingedrungen war, war ein roter Punkt zu sehen. »Orson!« Er bewegte sich immer noch nicht, daher beugte ich mich vor und gab ihm eine Ohrfeige. Er stöhnte, doch diese Reaktion war keine wirkliche Antwort auf meinen Schlag, also fühlte ich mich sicher, dass er unter der Wirkung der Droge stand.
Ich ging rückwärts bis zum Kleiderschrank und zog das Walkie-Talkie aus der Gürteltasche.
»Walter?«, sagte ich atemlos. »Walt… Fred?«
»Over.«
»Bist du in der Nähe?«
»Hundert Meter entfernt.«
»Komm zum Haus und geh rein.«
Ich lehnte mich gegen die Wand und wischte mir den Schweiß aus den Augen.
Orson stürzte aus dem Bett und bohrte seinen Kopf in meinen Bauch, bevor ich auch nur die geringste Chance hatte, an meine Waffe zu denken. Während ich nach Luft rang, fuhr er mit dem Knie zwischen meine Beine und packte mit beiden Händen meinen Nacken. Seine Stirn sauste auf meine Nase nieder und brach den Knorpel. Brennender Schmerz durchzuckte mich und Blut rann mir über die Lippen.
»Was bildest du dir ein, Andy? Du
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