Bruderkampf
die Schulter. »Unser Wilddieb wird sich heute seinen Lebensunterhalt verdienen, Mr.
Maynard.«
Martin zog ein Messer aus dem Gürtel und gab sein schweres Entermesser Allday, ehe er frohgemut sagte: »Kein Problem, Sir. Scheint aber nicht ganz fair, wie?«
Martin und Maynard tauchten in der Dunkelheit unter, und Herrick sagte leise: »Diese Soldaten müssen während des Schlafens stumm gemacht werden. Erstochen oder erschlagen, ganz gleich, aber sie dürfen auf keinen Fall Alarm schlagen.«
Allday zuckte zusammen, als weiter unten Maynards Dolch gegen einen Stein klirrte, und sagte dann: »Sie oder wir, so steht es doch, nicht wahr, Sir?«
»Was macht Ihr Arm, Mr. Belsey?« Der Steuermann regte sich irgendwo in der pechschwarzen Finsternis. Er wußte, daß Bolitho nur gefragt hatte, um das entnervende Schweigen zu brechen. Man hatte Bolitho mit Farquhar und Belsey unter Deck geschafft und ohne große Umstände irgendwo im Vorschiff in einen leeren Laderaum gesperrt. Nach einem Versuch, sich zu unterhalten, waren sie bald verstummt, und jeder hatte sich seinen Befürchtungen hingegeben.
»Geht einigermaßen, Sir«, antwortete Belsey. »Aber bei diesem Schlingern bricht mir der Schweiß aus.«
Während der letzten Stunde hatte sich die unruhige Bewegung ständig verstärkt. Der Laderaum lag unterhalb der Wasserlinie, und dadurch machte sich das laute Arbeiten in den Verbänden des vor Anker liegenden Schiffes nur noch mehr bemerkbar. Die Mannschaft hatte bereits mehr Ankerkette gesteckt, denn durch sein plötzliches Drehen fegte der Wind nun mit steigender Wut über die zuvor noch geschützte Reede.
»Vielleicht läuft die Phalarope wieder nach draußen«, sagte Belsey. »Bei diesem Wetter werden sie doch sicher keine Boote ausbringen?«
Bolitho war froh, daß die anderen sein Gesicht nicht erkennen konnten. Ein Wetterumschlag würde an Vibarts Entschlossenheit, einen Sieg zu erringen, wenig ändern. Seit vom Abhang zu den verborgenen Verteidigern hinabsignalisiert worden war, spürte er eine wachsende Verzweiflung und die peinigende Gewißheit, daß der Phalarope und ihrer Besatzung Unheil und Vernichtung bevorstanden. Doch er war machtlos, konnte keinem einzigen helfen. Das Schiff krängte in einem tiefen Wellental, und er fühlte plötzlich einen Druck an der Schulter.
Die Andiron ruckte jetzt in regelmäßigen Abständen in die Kette ein. Er spürte, wie sich das Deck hob und dann wieder bebend zurückglitt. Er mußte an seinen Bruder denken und fragte sich, was Hugh in diesem Augenblick tat. Sein Eifer, das Enterkommando der Phalarope zu vernichten, würde durch die Sorge um die Sicherheit seines Schiffes ein wenig verdrängt worden sein. Zu jeder anderen Zeit hätte er bestimmt zur geschützteren Seite der Insel verholt. Sonderbar, wie der unerwartete Wetterumschlag seine Hand im Spiel hatte. Nicht daß er den Ausgang umwälzend verändern konnte. Er verlängerte nur die Qual des Wartens.
»Ich wünschte, irgend etwas würde geschehen«, sagte Farquhar. »Dieses Warten geht mir auf die Nerven.«
Bolitho drehte sich so, daß er den hellen Spalt in der Tür des Laderaums sah. Der Lichtstreifen erlosch, wenn der Wachposten draußen im schmalen Gang seinen Standort änderte. Als er seine verkrampften Glieder zurechtzurücken versuchte, fühlte er den warmen Stahl am Bein und entsann sich des versteckten Dolches. Was nützte er ihnen nun? Genausogut hätte er ihn in der Kajüte lassen können.
Merkwürdig, daß ihn die Wachen nicht untersucht hatten.
Aber sie waren so unverhohlen zuversichtlich – und das mit gutem Grund – , daß es eigentlich nicht anders zu erwarten gewesen war. Selbst sein Bruder hatte sich die Zeit genommen, noch einmal mit ihm zu reden, bevor er in den Laderaum hinuntergebracht wurde. Hugh Bolitho hatte den Degen seines Vaters umgeschnallt und ein Paar Pistolen im Gürtel. Der bevorstehende Kampf schien ihm neue Energien zu schenken.
»Nun, Richard, dies ist deine letzte Chance.« Er stand lässig auf dem schwankenden Deck, legte den Kopf schief und betrachtete seinen Bruder leicht belustigt. »Bloß eine Entscheidung, und es ist an dir, sie zu treffen.«
»Ich habe dir nichts zu sagen. Nicht jetzt. Nie.« Bolitho bemühte sich, den Degen zu übersehen. Er wirkte wie eine zusätzliche Beleidigung.
»Na gut. Nach diesem Gespräch sehe ich dich wahrscheinlich nur noch selten. Ich werde zuviel zu tun haben.« Er blickte zum drohenden Himmel empor. »Der Wind nimmt zu, aber ich
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