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Brudermord

Titel: Brudermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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engagiert in zahlreichen anderen Institutionen, Vereinen und Gesprächskreisen, mittendrin.
    »Du meinst, Dr. Lerchenberg? Ich habe gehört, dass er gestorben sein soll, ist das wahr?«
    Ihre Mutter schnaubte. »Und ob! Er ist keinen Kilometer von unserem Haus entfernt mit dem Auto gegen einen Baum gefahren. Stell dir das vor! Gegen den einzigen Baum weit und breit! Er war sofort tot.« Sie holte Luft, dann fügte sie noch hinzu: »Der Baum muss gefällt werden. Dabei war er uralt.«
    Clara musste trotz allem lächeln. Das war typisch für ihre Mutter, sich Gedanken um den Baum zu machen.
    »Wann ist das denn passiert?«, fragte sie.
    »Heute Nachmittag, so gegen zwei Uhr, glaube ich.«
    Clara schüttelte langsam den Kopf. Konnte es solche Zufälle geben?
    Ihre Mutter sprach schon weiter. »Gerade war Herr Solberg da, du kennst ihn doch, er ist mit mir im Kirchenvorstand.«
    »Mm, ja.« Clara nickte mechanisch. Ihre Mutter ging davon aus, dass jeder wusste, wer mit ihr im Kirchenvorstand saß.
    »Nun, Herr Solberg ist ein guter Freund von Herrn Wildenauer, und der ist bei der Polizei, und weißt du, was er gesagt hat über diesen Unfall?«
    »Sag schon!«
    »Man hat keine Bremsspuren gefunden und auch keine Anzeichen, dass er jemandem ausgewichen wäre.« Ihre Mutter machte eine Pause, um Clara die Schlussfolgerung aus dem Gesagten selbst ziehen zu lassen.
    Clara meinte zögernd: »Das bedeutet also, sie glauben, er könnte mit Absicht …«
    »Genau!«, fiel ihre Mutter ihr ins Wort, zufrieden über die schnelle Auffassungsgabe ihrer Tochter. »Er sieht so aus, als ob er Selbstmord begangen hätte.«
    Clara schluckte. Aber das kann nicht sein, dachte sie. Das kann nicht sein. Wir waren verabredet.
    Ihre Mutter sprach weiter: »Ist das nicht merkwürdig, Liebes, dass wir am Vormittag noch über ihn geredet haben, und dann bringt er sich ein paar Stunden später um?«
     
    Als Clara am nächsten Morgen in Schloss Hoheneck anrief, wurde sie im Gegensatz zum letzten Mal sofort weitergeleitet. »An die Klinikleitung«, wie die Dame am Empfang sie informierte.
    Es meldete sich ein Mann, der sich als Dr. Selmany vorstellte. »Wie kann ich Ihnen helfen?,« erkundigte er sich höflich, als Clara ihren Namen nannte, doch an seinem wachsamen Ton konnte sie hören, dass er längst wusste, weshalb sie anrief. Trotzdem erklärte sie es ihm noch einmal geduldig und schloss mit der Bitte: »Ich benötige Einsicht in die Krankenakten von Frau Imhofen.«
    Dr. Selmany räusperte sich umständlich, bevor er antwortete. »Ich fürchte, das ist nicht möglich, Frau Rechtsanwältin.«
    »Wieso? Dr. Lerchenberg hat gesagt, Frau Imhofen wäre eine Patientin in Ihrer Klinik gewesen …«
    »Das ist schon richtig«, gab Dr. Selmany eilig zurück. »Aber sie wurde entlassen und das schon vor gut drei Wochen.«
    »Vor drei Wochen?«, fragte Clara verwundert. »Warum hat man dann erst jetzt eine Betreuung veranlasst?«
    »Nun«, Dr. Selmany zögerte. »Diese Entlassung … wie soll ich sagen, es war eine Sache, die Herr Lerchenberg in eigener Verantwortung unternommen hat. Wir, also die Klinikleitung, haben Dr. Lerchenbergs Auffassung nicht geteilt …«
    »Ach!« Clara runzelte die Stirn. »Wie konnte denn Herr Lerchenberg gegen Ihren Willen eine Patientin entlassen?«
    »Nun …« Man konnte förmlich spüren, wie sich der Arzt wand. »Nachdem das Gericht aufgrund von Dr. Lerchenbergs eigenmächtigem Antrag so entschieden hatte, blieb uns trotz erheblicher Bedenken keine andere Wahl. Justitia hat immer das letzte Wort, nicht wahr?« Seine Stimme fand langsam ihren öligen Ton zurück.
    Clara gab keine Antwort. Im Stillen fragte sie sich, weshalb Selmany dies überhaupt erwähnte. Interne Meinungsverschiedenheiten zwischen Ärzten wurden im Allgemeinen nicht in der Öffentlichkeit ausgebreitet. Sie hakte nicht weiter nach, sondern kritzelte stattdessen Selmanys Namen und ein dickes Fragezeichen in ihre Akte. Dann meinte sie: »Aber die Krankenakten müssten doch trotzdem da sein.«
    »Eigentlich schon, ja, natürlich«, gab Dr. Selmany zu und ergänzte dann mit deutlichem Unbehagen in der Stimme, »aber sie sind es nicht. Um genau zu sein, sie sind verschwunden.«
    »Verschwunden?«
    »Hören Sie, Frau Anwältin«, beeilte sich der Arzt, sie zu beschwichtigen. »Es ist uns sehr unangenehm, das können Sie uns glauben. Wir hätten viel früher reagieren sollen, schon als die ersten Anzeichen bekannt wurden.«
    »Was für Anzeichen?«
    »Nun,

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