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Brudermord

Titel: Brudermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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Musik, und Clara war in die Warteschleife verbannt. Sie lauschte mit halbem Ohr dem seichten Geplätscher und überlegte, was für eine Entschuldigung Dr. Lerchenberg wohl anbringen würde. Dann stoppte die Musik abrupt.
    »Hallo, wer spricht da?« Es war nicht Dr. Lerchenberg, sondern wiederum die Stimme einer Frau. Sie klang ängstlich.
    Clara wiederholte ihren Namen und ihre Bitte, und erneut hatte sie den seltsamen Eindruck, als prallte die Person in der Leitung regelrecht zurück. Als habe sie um etwas Unghöriges gebeten.
    »Es ist nicht möglich, mit Dr. Lerchenberg zu sprechen«, sagte die Frau zögernd.
    »Warum nicht? Ist er schon weg?« Clara wurde ungeduldig. »Hören Sie, wären Sie bitte so freundlich, ihm etwas auszu …«
    »Er ist tot.«
    »Wie?«, rief Clara erschüttert. »Das ist doch nicht möglich! Wir haben heute Morgen miteinander gesprochen. Wir waren verabredet …« Sie verstummte einen Moment, dann fragte sie: »Was ist passiert?« Doch es antwortete ihr niemand. Die Frau hatte aufgelegt.
     

CADAQUÉS
    Lange hatte er der Frau hinterhergesehen, noch als sie längst schon die Bar verlassen hatte. Die Stimmen um ihn herum wurden leiser, rückten in die Ferne wie in einem Film bei einem Schwenk, weg von der Totalen hin zu einem Detail. Er hörte einzelne Stimmen heraus, das helle Lachen einer jungen Frau. Montserrat hieß sie vielleicht, so ziemlich alle Frauen hier hießen nach dem heiligen Berg Kataloniens. Dann ein paar Wortfetzen in dieser schwer verständlichen Sprache, irgendwo zwischen Spanisch und Französisch. Gläser klirrten aneinander, ein Barhocker wurde weggerückt, schrammte über den Fliesenboden. Jemand sang ein paar Takte, wurde ausgebuht. Rufe, neues Gelächter in der Ferne.
    Clara. Er flüsterte den Namen so vorsichtig, als enthielte er eine Verwünschung. Was im Grunde auch so war. Und doch hielt er sich an dem Namen fest. Clara. Sie war zu ihm gekommen. Hatte ihn gefunden. Er starrte auf seine Hände. Die Nägel waren abgebrochen, jede Falte um die Fingerknöchel herum schwarz von Sand und Schmutz, rau wie Schleifpapier. Sie fühlten sich fremd an, diese Hände. Alles an ihm fühlte sich fremd an. Er kannte sich nicht mehr. Doch wann war das passiert? Er wusste es nicht. Er hatte auch die Zeit verloren, sie war ihm durch die Finger geronnen wie der kalte Sand unten am Strand. Langsam schüttelte er den Kopf. Es war schon viel früher passiert. Vor ewiger Zeit. Er konnte den Blick nicht abwenden von seinen Händen. Er empfand plötzlich Mitleid mit ihnen. Er hatte sie zu sehr geschunden in all den Jahren. Keine Pause hatte er ihnen gegönnt. Nichts Weiches, Warmes, nichts Nachgiebiges hatten sie berühren dürfen, immer nur den harten, rauen Stein. Langsam strich er mit den Fingern der rechten Hand über seinen linken Daumen. Er war krumm, verbogen wie ein alter, knorriger Ast. Die Gelenke waren geschwollen, wie alle seine Fingergelenke. Verbrauchte, kranke Hände. Nutzlos.
    Langsam löste sich eine Träne aus seinem Augenwinkel und suchte sich einen Weg hinunter durch das zerfurchte, unrasierte Gesicht. Er schmeckte das Salz auf seinen Lippen und dachte an das Meer. So leer und weit wie das Meer hatte er werden wollen. Sich auflösen in dieser Endlosigkeit, verschwinden, hinuntersinken auf den Grund wie ein Stein. Vielleicht hätte er es geschafft, vielleicht wäre es ihm gelungen, wenn nicht diese Frau heute gekommen wäre.
    Clara. Eine weitere Träne löste sich. Tropfte auf die Tischplatte. Miguel kam und tauschte die leere Karaffe Rotwein gegen eine volle aus. Er tat ihm leid, dieser grauhaarige Deutsche mit dem roten Bart, den irgendetwas hier an die Küste gespült hatte. Seit vielen Jahren kam er schon hierher, blieb ein paar Wochen und saß bei ihm in der Bar, stumm und abweisend, ein einsamer Trinker. Doch dieses Mal war etwas anders gewesen. Er war spät im Jahr aufgetaucht, ganz plötzlich, ohne sich vorher anzukündigen. Und in dem Moment, als er hier zur Tür hereingekommen war, schwankend, strauchelnd, wie ein welkes Blatt, das der heftige Herbststurm, der draußen wütete, vor sich hergetrieben hatte, war Miguel sich sicher gewesen, dass dieser Mann, den hier alle Pablo nannten, obwohl er ganz anders hieß, nicht mehr nach Deutschland zurückkehren würde. Er wollte sterben. Hier in Cadaqués. Und so wie es aussah, würde es ihm auch gelingen.
    Jeden Abend brachte Miguel ihm Rotwein. Eine Karaffe billigen Rioja nach der anderen. Meistens stellte er ihm

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