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Brudermord

Titel: Brudermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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erzählte mir Johannes, sie sei entlassen worden und unter einem falschen Namen nach Paris gegangen. Sie wolle nichts mehr von ihrem alten Leben wissen. Und von mir schon gleich gar nicht. Da habe ich aufgehört nachzufragen. Stattdessen habe ich zu trinken begonnen. Nicht nur ab und zu, sondern regelmäßig und mit Methode. Ich habe angefangen, mir mit Absicht ein Bein zu stellen, habe Termine verpasst und bin besoffen zu Vernissagen erschienen.
    Und mit der Zeit habe ich mir eingeredet, Ruth habe das große Los gezogen, habe sie mir immer deutlicher vorgestellt, in Paris, schön und extravagant, umgeben von einer Schar Verehrern und mit einem Atelier in Montmartre … Was für ein schönes Leben sie dort haben musste, kein Wunder, dass sie von mir nichts mehr wissen wollte, von Pablo, dieser lächerlichen Figur, diesem Säufer.«
    Er begann zu lachen. Immer lauter, immer heftiger, sein ausgemergelter Körper schüttelte sich, und währenddessen liefen ihm die Tränen über das Gesicht.
    Clara sah aus den Augenwinkeln, wie die Gäste an der Theke sich zu ihnen umdrehten, den Kopf schüttelten und leise Bemerkungen machten. Sie beugte sich vor und griff nach Pablos Hand.
    Er zuckte zusammen.
    »Hören Sie auf«, sagte sie scharf.
    Pablo verstummte, als habe man den Ton abgedreht. Zusammengesackt blieb er auf dem Stuhl sitzen und stierte vor sich hin.
    Clara schob ihm den Teller mit den Vorspeisen hin. »Nehmen Sie etwas. Essen Sie. Wir haben Zeit.«
    Als ob sie ihm damit ein Signal gegeben hätte, begann er zu essen. Schnell, fast gierig, in einer Hand das Brot, in der anderen die Gabel, schaufelte er alles in sich hinein.
    Clara lehnte sich zurück, und während sie ihn beobachtete, versuchte sie über das nachzudenken, was sie gehört hatte. Ihre Gedanken wanderten von Pablo weg zu jenem Abend vor vierundzwanzig Jahren. Es verwirrte sie, dass Johannes Imhofen so offensichtlich gelogen hatte. Warum hatte er nicht gesagt, dass es Pablo gewesen war, der ihn angerufen hatte? Die einzige Erklärung war die, die er Pablo schon selbst gegeben hatte, nämlich, dass er ihn aus der Sache heraushalten wollte.
    Aber warum? Was hätte es geändert, wenn Jakob Schelling in den Akten aufgetaucht wäre? Das Argument, man hätte Pablo etwas anhängen können, war wenig überzeugend, denn Johannes Imhofen hätte doch aussagen können, dass Pablo zum Tatzeitpunkt nicht in der Wohnung war, dann wäre kein Verdacht auf ihn gefallen. Nur wenn Imhofen ihn hätte bewusst reinreiten wollen, wenn er, um seine Schwester zu schützen, gelogen hätte, dann wäre es für Pablo schwierig geworden.
    Aber das hatte Imhofen nicht getan. Im Gegenteil, er hatte ihn gefördert und unterstützt, er hatte ihn … gekauft. Warum?
    Clara starrte angestrengt vor sich hin. Nachdem Imhofen nichts getan hatte, um seine Schwester zu schützen, gab es nur einen Grund, Jakob Schelling aus der Sache herauszuhalten und sich gleichzeitig seiner Dankbarkeit zu versichern, womöglich sogar mit der Drohung im Hintergrund, er könne die Ereignisse des Abends immer noch anders darstellen: um sich selbst zu schützen. Abwesend kramte Clara eine weitere Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an, ohne hinzusehen.
    Plötzlich fiel ihr Ruth ein, an dem Nachmittag, an dem sie sie in Pablos Werkstatt gefunden hatte. Sie war so in die Ereignisse von damals zurückgefallen gewesen, dass sie Clara gar nicht richtig bemerkt hatte.
    »Warum ist er gekommen?«, hatte sie gefragt, und Clara war der Meinung, sie spräche von Udo Reimers an jenem Abend. Aber das stimmte nicht. Sie hatte von ihrem Bruder gesprochen. Er war es, der für sie überraschend gekommen war, nachdem sie Pablo weggeschickt und sich im Bad eingeschlossen hatte. Sie wusste ja nichts von Pablos Anruf bei ihrem Bruder.
    Clara ließ den Blick durch das Lokal schweifen, ohne wirklich etwas zu sehen. Ruth hatte sich erinnert an diesem Nachmittag. Sie hatte sich an Dinge erinnert, die sie damals vor vierundzwanzig Jahren nicht registriert hatte: Johannes Imhofen war gekommen, als sie sich noch im Bad aufgehalten hatte, als die Tür noch verschlossen gewesen war. Und wenn Pablo die Wahrheit sagte und er Udo Reimers nicht umgebracht hatte, dann bedeutete das, Udo Reimers hatte zu dem Zeitpunkt, als Imhofen eingetroffen war, noch gelebt. Und als Pablo eine halbe Stunde später zurückkam, war die Tür eingetreten gewesen, und Udo hatte auf dem Boden gelegen. Noch immer am Leben. Das bedeutete … das konnte nichts

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