Brüchige Siege
LaRaina zu treffen, das war Mr. Curridens wirkliche
Absicht«, erklärte mir Henry und blickte unverwandt in
Fahrtrichtung. »Er hegt keinen Groll gegen dich. Wer weiß,
vielleicht hat er dich tatsächlich mit einem bezahlten Besuch
im Wing & Thigh belohnen wollen; immerhin hast du einiges für die Hellbenders getan. Andererseits verspürte er keine
Gewissensbisse, dich als Faustpfand zu benutzen, um indirekt
Miss LaRaina zu verletzen. Daß dieses Unterfangen auch dich
versehren könnte und Miss Phoebe zutiefst kränken würde,
war ihm gleichgültig; ihr wart nur Mittel zum Zweck. Ich habe
Mr. Curriden bislang gut leiden können. Heute abend
allerdings brennt sein Name wie Salz und Asche in meiner
Wunde.«
Henry schwieg, bis unser Taxi in die Angus Road einbog.
»Das Komische an Mr. Curriden ist, daß er durch seine
Gehässigkeit auf der Skala meiner Wertschätzung noch tiefer
gesunken ist als die Messieurs Hoey, Sloan, Sosebee, Sudikoff
und Evans. Bei all ihrer Bigotterie rächen sie sich unmittelbar an demjenigen, der sie blamiert oder beleidigt, und bedienen
sich nicht argloser Dritter, mit denen sie gar keinen Streit
haben.« Beim Anblick von McKissic House sagte er: »Diese
unverschämte Laus.«
Das Taxi fuhr uns bis an die Balustrade der vorderen
Veranda. Obwohl im Parterre und auf dem ersten Stock noch
Licht brannte, hatte man als jemand, der ein bißchen nach dem
offiziellen Zapfenstreich kam, gleich das Gefühl, das Haus
müsse einen, sobald man den Fuß über die Schwelle setzte, mit
Haut und Haaren verschlingen.
Henry zahlte den Fahrpreis und gab dem Fahrer ein
Trinkgeld. Er packte mich von hinten unter die Achseln und
trug mich mehr oder weniger die Stufen hinauf. An der Tür ins
Foyer stellte er mich ab und sah auf mich herunter.
»Du schuldest mir zehn Dollar für das Aquarium, Daniel –
eine Schuld, die ich dir nicht vergeben werde.«
Kein Problem. Das Geld hatte ich. Wie über einem Siphon
kreiselten meine Gedanken über einem bestimmten
Augenblick im Wing & Thigh. Das Gesicht – das von dem Kerl mit dem roten Popeye-Cartoon auf dem Hintern war ein
Gesicht, das ich kannte. Was, zum Teufel, ist hier los? Was soll der Scheiß? Auch diese unangenehme Stimme kam mir
bekannt vor. Aber woher kannte ich den Mann, und wieso ließ
er sich die allbekannte Grimasse von Popeye auf den Hintern
malen?
»Hast du gehört?« sagte Henry.
Ich nickte, und wir gingen ins Haus.
34
AM FREITAGNACHMITTAG WAREN MISS TULIPA und Colonel
Elshtain eingetroffen, zu spät, um noch das Spiel gegen die
Seminoles zu besuchen. Miss Giselle hatte sie empfangen und
zu sich und Mister JayMac eingeladen. Der staubbedeckte
Hudson Terraplane kauerte vor dem Bungalow, die
Reifenprofile waren verkrustet vom roten Schlamm eines
Flußbetts in Alabama.
»Daniel, du siehst prächtig aus«, sagte Miss Tulipa in der
Sommerlaube am Hellbender-Weiher. »Wie ein Soldat, findest
du nicht, Clyde?«
»Doch«, sagte der Colonel. »Er hätte auf mich hören sollen.«
Nach dem Frühstück hatte Darius mich zur Sommerlaube
geholt, sie sollte als neutraler Treffpunkt dienen. Die Elshtains, erklärte mir Darius, hätten nicht in McKissic House stören
wollen, und kein Spieler habe seit dem Bau des Bungalows im
ersten Spieljahr der CVL dort einen Fuß über die Schwelle
gesetzt – nicht einmal so mutmaßliche Favoriten wie Hoey,
Muscles, Snow oder Jumbo Clerval, mein erlauchter
Zimmergenosse.
Nicht Jumbo – hätte ich Darius am liebsten berichtigt –
Henry.
»Deine Mama würde strahlen, wenn sie dich so sehen
könnte«, sagte Miss Tulipa. »Was macht deine Laryngitis?«
Bisher war ich mit Nicken und Kopfschütteln, Grinsen und
Fußscharren ausgekommen. Schüchterne Jungs brauchen nicht
viel zu sagen. Jetzt aber mußte ich weiter den Schüchternen
spielen oder aber mit Bleistift oder Zeichensprache Farbe
bekennen. Ein schlimmer Fall von Laryngitis kann ganz schön
hartnäckig sein, oder nicht? Ich machte andeutungsweise den
einhändigen Selbstwürgegriff und schüttelte traurig den Kopf.
∗
»Pobrecito«, sagte Miss Tulipa. »Was für eine Plage.«
»Du übertreibst wie immer«, sagte Colonel Elshtain. »Nicht
du hast die Laryngitis, sondern der Junge.«
Miss Tulipa sah den Colonel strafend an. »Liebling, im
Augenblick hätte ich nichts dagegen, wenn du sie hättest.«
»Sollte dein frommer Wunsch in Erfüllung gehen, Tulipa,
werde ich es verdammt schwer haben, auf der
Weitere Kostenlose Bücher