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Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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Heimfahrt
    meinen Part von Row, Row, Row Your Boat zu singen.«
    Miss Tulipa lächelte. »Clyde, sei doch so nett und hole das
    Geschenk aus dem Wagen, das uns seine Mutter mitgegeben
    hat.«
    Colonel Elshtain schlug die Hacken zusammen – aus
    Sarkasmus vielleicht – und tat, wie ihm geheißen.
    »Deine Mama vermißt dich unsäglich«, sagte Miss Tulipa.
    »Du lieber Himmel!« Aus einer von Bäumen gesäumten
    Nische des Hellbender-Weihers kam eine wahrlich bizarre
    Erscheinung geglitten, und Miss Tulipa schlug die Hand aufs
    Herz wie eine Filmschauspielerin, der laut Drehbuch ein
    Gespenst oder irgendein launisches Trugbild begegnet. Ich
    beeilte mich, die Erscheinung auf dem Weiher auf etwas
    Vertrautes zurückzuführen.
    Daher schrieb ich auf eine Seite aus dem Notizbuch, das ich
    immer bei mir trug: Das ist nur Henry in seinem Kajack, mein Zimmerkamerad.
    Henry paddelte zwischen den Bäumen heraus auf uns zu. Wie
    der Schornstein eines Ozeandampfers ragte sein Oberkörper
    aus dem Einmannloch. Gemessen an ihm wirkte das Kajak
    lächerlich klein, es lag so tief im Wasser, umgeben von einer
    Wolke aus Moskitos und Zwergmücken, daß einem angst und
    bange wurde, es könne jeden Moment vollaufen oder

    ∗ pobrecito (spanisch) = armer Schelm

    umschlagen. Nichts von alledem passierte, und Henry tauchte
    sein Doppelpaddel mal links und mal rechts ins Wasser, und
    das mit der kraftvoll behäbigen Anmut, mit der er im
    Bereitschaftskreis das Schlagholz schwang. Er nickte, als er
    vorbeiglitt – kein Winken, kein Lächeln. Dann drehte er ab und paddelte auf eine Flottille von Hausenten zu, die eilends vom
    anderen Ufer abgelegt hatte. Er legte das Paddel quer über den Bug und bombardierte die Enten mit Maisbrotkrumen.
    Miss Tulipa konnte sich nicht losreißen. »Das ist eines von
    diesen Eskimo-Booten, nicht wahr?«
    Ich nickte und schnippte eine Zigarette aus meinem
    Päckchen. Ich hatte sie schon angezündet, als mir einfiel, daß ich Miss Tulipa übergangen hatte. Sie starrte verloren über das Wasser, ganz wie die Frau eine Walfängers, die auf die
    Heimkehr ihres geliebten Mannes wartet, – dann sah sie mich
    wieder an und bekundete mit einem ulkigen Augenrollen ihre
    Enttäuschung.
    »Lieber Gott, Daniel, was tust du da?«
    Ich dachte: Wenn ich alt genug bin, um Geld zu verdienen, bin ich auch alt genug, um zu rauchen. Doch ihr Protest galt nicht meinem Alter. Sie schnappte mir die Zigarette fort,
    schmiß sie auf den Laubenboden und zermalmte sie mit der
    ∗
    Spitze ihres Spangen-Wedgie.
    »Du mußt Mayonnaise im Kopf haben, und die ist in der
    Sonne schlecht geworden. Ein Mensch mit Laryngitis darf
    genausowenig rauchen wie ein Tbc-Kranker. Willst du auf
    deinen Stimmbändern Polypen züchten? Damit die Laryngitis
    chronisch wird?«
    Ist sie längst, dachte ich, zeigte mich aber reumütig und schüttelte verzagt den Kopf.
    Colonel Elshtain kam mit Mamas Geschenk zurück. Sie hatte
    es zwar in Geschenkpapier gewickelt, doch der Form nach

    ∗ Wedgies = Schuhe mit keilförmiger Sohle (hinten halbhoch) konnte es sich nur um eine Angelrute, einen Axtstiel oder um
    einen Baseballschläger handeln. Hätte ich mich entscheiden
    müssen, ich hätte mit der neunmalklugen Gewißheit eines
    Schülers, der vom Pfuschzettel abliest, auf den
    Baseballschläger getippt.
    Und wahrhaftig, Mama hatte mir ein Schlagholz geschickt,
    wieder ein Red-Stix-Modell. Ich schälte es aus dem Papier und
    schwang ein paarmal. Beim Schwingen spürte ich ein
    sonderbares Herzreißen.
    »Coach Brandon wollte, das du ihn bekommst«, sagte Miss
    Tulipa. »Er hat ihn deiner Mama gegeben, gleich, als er hörte, daß der erste vorzeitig ausgeschieden ist.« Mit zärtlicher
    Selbstgefälligkeit sah Miss Tulipa zu, wie ich das rote
    Schlagholz schwang. »Sieht er nicht wie ein guter Schlagmann
    aus, Clyde?«
    »Er ist ein guter Schlagmann – die Zahlen belegen es. Ich finde, er sieht eher aus wie ein gefechtsbereiter Infantrist.«
    »Benimm dich, Clyde.«
    Draußen auf dem Wasser ließ sich eine Ente auf Henrys
    Schulter nieder. Sie fraß ihm aus der Hand. Die Enten auf dem
    Weiher flatterten und schnatterten wie unbestochene
    Ratsherren.
    »Wir sind gespannt, dich als Shortstop zu erleben«, sagte
    Miss Tulipa, trat in den Bogen meines größten Schwungs und
    setzte mir einen Kuß auf die Stirn. »Der ist von deiner Mama.«
    Ein Radau hob auf dem Weiher an. Zwei oder drei von
    Henrys Enten, darunter eine grünköpfige Stockente enterten
    das

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