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Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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den Fenstern wuchsen nur Löwenzahn
    und Purpurwinde.
    Während ich so dastand, grollte von da, wo wir die letzten
    zwei Innings bei hereinbrechender Dunkelheit gespielt hatten,
    der Braune Bomber heran. Er fuhr vorbei und folgte der
    geteerten Straße, die sich irgendwo in der verwaisten Gegend
    nördlich der Stadt verlor.
    »D-Darius«, sagte ich.
    »Auf der Suche nach einem Plätzchen, wo er ungestört
    schlafen kann«, sagte Henry hinter einem aufgeschlagenen
    Buch. »Der arme Slob.« Das war Henrys ungeschickte Art,
    sich des amerikanischen Slangs zu bedienen. Er meinte chap
    ∗
    oder bugger oder Joe, nicht slob, aber das wußte ich ja.
    »B-B-Bis später.« Noch ehe Henry fragen konnte, war ich zur
    Straße rüber. Ich marschierte durch die Finsternis und fixierte die glühenden Rücklichter des Bombers. Darius fuhr langsam,
    vielleicht weil er nicht wollte, daß ihn ein fanatischer Cop aufs Korn nahm, oder weil er hoffte, so eher einen geeigneten
    Rastplatz für die Nacht zu finden. Jedenfalls blieben die
    Rücklichter lange Zeit sichtbar. Ich fiel natürlich zurück, doch die Straße war so gerade, daß ich sie nicht aus den Augen
    verlor. Manchmal konnte ich sogar hören, wenn Darius einen
    anderen Gang einlegte – wie wenn jemand Kies in eine
    Eisenrutsche schaufelt.
    Ein Moskito aus den Baumwollfeldern heftete sich an meine
    Fersen. Zwei oder drei von diesen Biestern. Eine ganze
    blutrünstige Staffel. Im rechten Straßengraben schillerte öliges Wasser, eine Brutstätte. Die Teerdecke ging über in Schotter,

    ∗ slob = linkischer Tölpel • chap = Bursche (ohne Wertung) • bugger =
    Kerl (sympathischer) • Joe = Bursche (ohne Wertung)

    die größeren Steine – faustgroße – brachten mich aus dem
    Schritt. Ich mußte eine Reifenspur suchen und wie in einem
    engen Schützengraben einen Fuß vor den anderen setzen. Die
    langgezogene kohlschwarze Silhouette abgetragener Hügel
    weit im Westen versicherte mir, daß ich nicht in die
    grenzenlose Landschaft eines Alptraums geraten war. Und ein
    flüchtiger Blick über die Schulter zeigte mir die trübe
    Leuchtreklame von Edweenas ›Komfortstuben‹. Ich konnte
    jederzeit kehrt machen.
    Plötzlich schwenkten die Rücklichter des Braunen Bombers
    außer Sicht, und er zeigte mir sein rabenschwarzes
    Nilpferdprofil mit Fenstern, die in die Nacht blinzelten. Wieder das Geräusch von Kies auf der Eisenrutsche. Die
    Nilpferdschnauze mit den grellen Glupschaugen bewegte sich
    abwärts, bis ein Wall aus Erde und Nacht erst die Lichter und
    dann den ganzen Bus verschluckte. Nun hatte ich keine
    Rücklichter mehr, denen ich folgen konnte. Und wo, vor allem,
    hatte Darius die Straße verlassen?
    Ich ging weiter. Der DDT-Geruch und die konturlose
    Schwärze ringsum ließen mich an die Vorhölle denken, wo die
    Kranken oder Bekümmerten hinkommen, um ihrer Pein eine
    Handvoll Schlaf zu stehlen. Hier war Nirgendwo. Ich tapste
    weiter und kam schließlich an einen Feldweg, der von der
    Straße abzweigte. Jeder Schritt auf diesem Pfad jagte mir einen Blitz ins Kreuz. Strauchwerk drängte sich rechts und links, und auf einer Lichtung im Baumwollfeld stand einsam ein
    Pflaumenbaum. Oder war es eine Stechpalme? Dahinter lugte
    jedenfalls die Motorhaube heraus. Ich hätte den Bus nie und
    nimmer gefunden, war ich ihm nicht Von-der-Schwelle-auf-
    der-Stelle gefolgt. Ich ging zum Bomber und pochte an die
    Seite.
    Hinter mir klickte ein Revolverhahn. Jemand setzte mir die
    Mündung an den Hals.

    »Was, zum Teufel, willst du? Spuck’s aus, aber dalli.«
    »Darius.« (Kein Gestammel.)
    »Jesus, Danl, du bist das?« Darius setzte die Waffe ab.
    »Mann, du hättest dabei umkommen können. Was machst du hier?«
    Nachdem ich seinen Namen ausgesprochen hatte, brachte ich
    kein klares Wort mehr zustande. Darius fluchte und schob
    mich hinauf in den Bomber, in dem es knickste und knackste,
    solange der Motor noch abkühlte. Er schubste mich den Gang
    hinunter bis zur durchgehenden Rückbank.
    »Das ist doch dein Lieblingsplatz. Wenn nicht, ist auch egal.
    Setz dich.«
    Darius kam mir im Dunkeln irgendwie realer vor. Verglichen mit ihm war ich ein Gespenst, meine Haut und meine Knochen
    waren ausgelaugt und durchsichtig wie Wasser. Ohne die
    Hand, die meinen Oberarm umspannte, hätte ich mich wie ein
    Nebel zu den Sternen verflüchtigt.
    »Das Schießeisen tut mir leid. Ich war grade beim Pinkeln,
    als ich dich kommen hörte. Stand kurz davor, die Pisse wieder
    reinzuscheuchen,

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