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Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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Daddy im
    Vorderzimmer einen Schwarm Fledermäuse freigelassen?
    »Zerreiß noch eins, Dickie, und ich bring dich um!«
    »Versuch’s mal! ]a, versuch’s doch!«
    Mein Fuß war eingeschlafen, doch weil ich mit eigenen
    Augen sehen wollte, was es mit dem Krawall auf sich hatte,
    humpelte ich ins Vorderzimmer. Auch weil ich dachte, sie
    würden sich bei meinem Anblick so schämen, daß sie damit
    aufhörten.
    Ich kam in ein unheiliges Durcheinander. Daddy hatte mit
    Mamas
    Life- Illustrierten Jack-the-Ripper gespielt.
    Schwarzweiß-Fotos von Hitler, Shirley Temple*, Lou Gehrig*
    und Wer-weiß-was lagen kreuz und quer am Boden. Lauter
    Faltseiten. Daddy hatte sie rausgerissen und im ganzen
    Zimmer verteilt. Die auf dem Lampenschirm wippte noch.
    Marian Anderson* im Lincoln Memorial* baumelte zwischen
    zwei Jalousierippen. Ich erfaßte jedes Detail, denn es sah aus, als sei in dem Zimmer eine Handgranate explodiert.
    »Na, prima«, sagte Mama. »Jetzt hast du Danny
    aufgeweckt.«
    »Hau ab!« brüllte Daddy. »Geh wieder ins Bett!«
    Ich stand da in meinen zu kurzen Pyjamahosen, und Daddy
    rollte eine Illustrierte und benutzte sie als Wurfgeschoß. Sie fledderte auf und schlitterte mir vor die Füße. Überall lagen Life- Ausgaben ohne Umschlag herum – wie Trittsteine zur Klapsmühle.
    »Brüll mich an, wenn es dir Spaß macht!« sagte Mama. »Na, los! Aber laß deinen Sohn in Ruhe!«
    »Der mein Sohn? Hast du keine Augen im Kopf. Er sieht mir
    nicht ähnlich. Kein bißchen sieht er mir ähnlich.«
    »Was soll das heißen?«

    »Danny sieht nicht aus wie ich, er hat auch sonst nichts von
    mir. Bestimmt irgend so ein schnöder Pinkel, der ihn gemacht
    hat, als ich nach Tahlequah war, um ein paar Kröten zu
    verdienen.«
    »Was für ein Unflat! Ein erwachsener Mann würde sich
    schämen, so was zu sagen.«
    »Ich schäme mich ja. Weil mein Sohn nicht mein Sohn ist.
    Meine Frau hat sich von wer-weiß-wem schwängern lassen.«
    So rosarot, wie Daddys Gesicht war, so betrunken war er.
    »Du lausige Rothaut!« schrie Mama und stürzte sich auf ihn.
    Eine Illustrierte schoß unter ihren Füßen heraus. Mama kippte, ehe sie die Arme werfen konnte. Daddy fing sie auf, riß sie
    aber seitüber und ließ sie wie einen Kartoffelsack aufs Sofa
    plumpsen. Unter Fluchen und Weinen ging sie wieder auf ihn
    los. Doch Daddy erwies sich als ein noch schlimmeres Monster
    als er schon unter Beweis gestellt hatte.
    Ich griff an und wäre fast auf einer Fotoseite ausgerutscht.
    Daddy hielt mich mit einer Hand auf Abstand. »Du lausige
    Rothaut!« sagte ich. Ein Fluch von Mama stand mir gut zu
    Gesicht. Ich wollte dasselbe noch einmal sagen, als er mir mit dem Handrücken an den Hals schlug.
    Ich brach zusammen. Es fühlte sich an, als hätte er mich
    geköpft. Wenn ich zurückblicke, seh ich mich flattern wie ein
    Huhn, dem man das Genick gebrochen hat. Ich wollte schreien,
    brachte aber nicht mal ein Gurgeln heraus.
    Das gedunsene Gesicht von Daddy kam herunter, um sich zu
    vergewissern. »Er sieht mir überhaupt nicht ähnlich, Laurel.
    Und er ist auch sonst ganz anders.«
    »Baseball«, sagte Mama vom Sofa aus. »Du hast ihm
    beigebracht, wie man Baseball spielt. Er macht das wie du.«
    »Vielleicht. Aber das ist ein Trick.« Daddy knipste mir
    lüstern mit dem Auge. »Okay, kleiner Bastard, ich behalte
    Mamas Geheimnis für mich.«

    Er riß die Tür auf und schlug sie hinter sich zu, und nahm
    nicht mal Wäsche zum Wechseln mit. Ende August, Anfang
    September: Hitler spuckte den Völkern Europas in die Suppe.
    Das Radio war voll davon. Wie wenn ein Kampf zwischen
    deinen Eltern in hausgroßen Lettern an den Himmel gekritzelt
    wird.
    »Dick! Komm zurück!« rief Mama meinem Daddy hinterher,
    der eben gesagt hatte, daß er mein Daddy nicht war. Endlich
    bemerkte sie, daß ihr Kind verletzt am Boden lag.
    Mein Kehlkopf hatte dicht gemacht. In einem Wust aus
    Schwarzweiß-Portraits, Stilleben und Kriegsszenen setzte ich
    mich auf. Abgesehen von dem Mal an der Kehle, muß ich ganz
    okay ausgesehen haben. Wer atmet ist okay. Nur daß ich für die nächsten zwei Jahre kein Wort herausbrachte. Und als ich
    wieder anfing zu reden, da st-st-stotterte ich.
    Ich kletterte aus meiner Pullman-Koje, zog mich an und ging
    zwischen vorgezogenen Kojengardinen dahin, wo ich mich am
    liebsten aufhielt – hinaus auf die Plattform über der Kupplung.
    Die Hütten der armen Weißen und Farbigen, die ihre Pacht mit
    einem Großteil der Ernte bezahlten,

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