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Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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klickten vorbei wie alte
    Fotos (oder Negative). Sie sahen so verlassen aus, wie ich mir vorkam. Mein Kehlkopf hatte wieder dicht gemacht. Als die
    Lok gellend in die Kurve auf einem von Kudzu*
    überwucherten Hügelkamm preschte, versuchte ich
    mitzuhalten, zu heulen wie dieses rasende Ungetüm.
    Ich brachte nichts heraus.

    5

    DIE NACHT ZWISCHEN DEN WAGEN wollte kein Ende nehmen.
    Ich rechnete jeden Augenblick mit Pumphreys Erscheinen.
    Endlich ging die Sonne doch noch auf, und wir ratterten auf
    einer schwankenden Gerüstbrücke über den Chattahoochee
    River. Georgia. Anfang Juni, aber schon brütend heiß. Die
    Geleise sahen aus wie Rinnsale aus Quecksilber. Immer wenn
    wir in einem Städtchen hielten oder in einem vor Unkraut
    starrenden Rangierbahnhof, dann bekamen wir es mit ganzen
    Windhosen aus Kriebel- und Zwergmücken zu tun.
    Oklahoma war heiß – die Staubstürme waren wie Reibeisen –
    doch Georgias Hitze kam angerollt wie der Qualm eines
    Altreifenfeuers. Früher hatten hier Wälder gestanden, doch
    Holzhändler und Erdnußfarmer hatten die Bäume gefällt und
    aus Georgia eine Lehmwüste gemacht. Wir keuchten durch ein
    Gesprengsei aus Rasthäusern, Motels und Reklametafeln:
    Highbridges Randbezirk. (Die meisten Motels und Rasthäuser
    waren der Benzinrationierung zum Opfer gefallen.) Camp
    Penticuff lag sechs, sieben Meilen südöstlich der Stadt. Die
    Panhandle-Seminole-Eisenbahnlinie, auf der wir gekommen
    waren, machte einen Schlenker durch diesen Posten. Zivilisten
    stiegen in der Stadt aus, die Soldaten fuhren weiter.
    Als ich aus dem Zug kletterte, sah ich endlich ein paar der
    Nicht-Militär-Typen, die an Bord gewesen waren. Sie standen
    in Gruppen auf dem Bahnsteig, fächelten sich Luft zu und
    begrüßten Freunde. Fragte sich nur, wo sie sich die ganze Zeit versteckt hatten. An Bord hatte ich fast nur Uniformen gesehen
    – eine gottverdammte Uniform zuviel. Die ganzen Schilder,
    die einen baten, den Aufenthalt im Speisewagen nicht unnötig

    auszudehnen und etwaige Reiseverzögerungen zu
    entschuldigen, machten deutlich, wie sehr der
    Eisenbahngesellschaft an militärischer Fracht gelegen war und
    wie wenig an überflüssigen Zivilisten wie mir.
    Am Bahnhof von Highbridge bekam ich Muffensausen. Ich
    hatte gedacht, Mister JayMac würde mich abholen, doch von
    einem Mister JayMac war weit und breit nichts zu sehen. Was
    nun? Hätte mir jemand beweisen können, daß Pumphrey in
    Alabama ausgestiegen war, ich wär mit den Rekruten ins
    Camp gefahren.
    Statt dessen spazierte ich ins Bahnhofsgebäude. Der Seesack
    war meine Rettung
    – genau genommen der rote
    Baseballschläger, der oben aus der Verschnürung ragte.
    »Dubo?« sagte eine hohe Stimme im Halbdunkel. Ich sah mich um wie der leibhaftige Tolpatsch. »Du Bo?« Lauter diesmal. Ich drehte mich um meine Achse und sah nach unten.
    Barfuß und mit hängenden Schultern stand da ein zwölf oder
    dreizehn Jahre alter Bengel, der mit Schokoladenaugen zu mir
    aufstarrte. Er trug ein schlotterndes Männerhemd und
    glänzende Baumwollhosen. Ein kleiner schwarzer Zambo.*
    Um ihn als Farbigen oder Pickaninni* zu bezeichnen, hätte ich
    alle Register ziehen müssen. Wir waren eine Handvoll Jahre
    auseinander, doch in unserem Alter war das soviel wie eine
    Generation. Was wollte er? Ein Almosen? »Du Danny Bo?«
    rief er, als wär ich taub wie ein Preßlufthammer-Jockey.
    Heiliger Strohsack. Jemand in Highbridge – ein barfüßiges
    Niggerkind aus Onkel Toms Hütte – kannte meinen Namen.
    Halbwegs jedenfalls.
    »Jukli.« Er streckte die Hand aus – zum Gruß, dachte ich.
    Also langte ich hin. Argwohn kräuselte das bis dahin stoische
    Gesicht. Mein Händedruck wurde nicht erwidert. Die Hand
    entglitt mir wie ein Stück rohe Leber und fand zu meinem
    Seesack. Nichts anderes hatte er im Sinn gehabt. Er war mein

    Empfangskomitee, das mich zu Mister JayMac bringen sollte.
    Sollte ich das nun als Abfuhr oder Ehre betrachten?
    »Kommit«, nuschelte der Kleine und schleifte mein Gepäck durch den Warteraum zur Straße. Draußen am Bordstein dräute
    ein rostiger brauner Bus mit weißen Partien, eine Flying
    Fortress ohne Tragflächen. Der Junge sprang die Stufen hoch
    und verschwand im Innern.
    HIGHBRIDGE HELLBENDERS stand in gewellten
    Schriftzügen auf der weißen Seite. Darunter ganz gerade und
    ∗
    in kleineren Buchstaben: TERRORS OF THE CVL. Auf dem Rand
    des vorderen Kotflügels stand: The Brown Bomber, was wohl der Spitzname des

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