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Brücke der brennenden Blumen

Brücke der brennenden Blumen

Titel: Brücke der brennenden Blumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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großer Zuneigung und Pflege, und auch von diesen Bauern
konnte Eljazokad einiges lernen und in seinem Tagebuch verzeichnen.
    Die eigentliche Ebene von Darigré war vor einem halben Jahr ein
großes Schlachtfeld zwischen den Armeen der Dreifarbenländer und Etridti Djuzul
gewesen. So weit das Auge reichte, sah man Gebein von Menschen, Reit- und
Flugtieren, Verwesung, Zerschmettertheit, Ölbrand, zerschlissene
Provinzenflaggen, aufgeworfenes Erdreich, darin steckende Pfeile, Lanzen und
andere Mordwaffen, Regenwasserpfützen, vertrocknetes und schimmliges Blut,
geborstene, im Schlamm eingesunkene Transportwagen, zu Schlacke gewordene
Zeltplanen, aufgeweichte Kleidung und Roststaub. Nur Schädel fehlten, die waren
von den Bauern bereits auf die Felder gebracht worden. Der Geruch, der über dem
Ganzen hing, war süßlich und stechend wie verzuckertes Kompott.
    Eljazokad stand da und ließ sich vom schwülen Wind der Fäulnis
umwehen. Es sah nicht so aus, als hätte diese Ebene jemals einen Sieger
gesehen.
    Mitten auf dem Schlachtfeld stand eine erst vor einem Mond
errichtete Lehmhütte mit einer gelben Tür. In dieser Hütte, so erklärte es
Eljazokad eine alte Gebrauchtklingensammlerin, konnten die Menschen beten und
Abbitte leisten. Mehrere Stunden brauchte der Lichtmagier, um über das
rutschige und von Widerhaken starrende Schlachtfeld die einsam stehende Hütte
zu erreichen. Dann öffnete er die gelbe Tür und trat ein.
    Innen herrschte Leere. Eine völlige Leere: kein Mensch, kein
Möbelstück, keine Verzierung, kein Symbol, nicht einmal ein Fenster, nur ein
paar Licht einlassende Löcher in der Dachbespannung.
    Für einen Moment konnte Eljazokad den ganzen großen Betrug
durchschauen, dann zerfaserten sich seine Gedanken wieder, wurden – wie immer –
durch Zweifel zerstreut. Er hockte sich hin und notierte in sein
melronianisches Pergamentheft.
    Aus Eljazokads Tagebuch:
    Mein leiblicher Vater, Zarvuer, hat
sich losgesagt von Magie und Religion. Religion wurde erfunden, die Götter sind
nirgends, überall heißt es in treuer Schafsäugigkeit: Sie sind weitergezogen,
aber sie denken noch an uns. Was den Göttern am nächsten kommt, sind Magier.
Magier existieren, ich selbst bin ein Beweis dafür. Mein leiblicher Vater,
Zarvuer, hat sich losgesagt von mir und meiner Mutter. Er hat das ganze System
aus Lüge und Irrglauben durchdrungen und weit von sich gewiesen.
    Udin Ganija, der von hier stammt, aus diesem
Land der Schlachtfelder, jagte Mammuts, Werwölfe und Wale. Magische Tiere.
Tiere am Abgrund des Aussterbens. Auch er bekämpfte also Magie, versuchte,
einen Irrtum auszumerzen.
    Aber worin liegt der Irrtum, wenn Magie
tatsächlich existiert?
    Sie kann keine Einbildung sein, sie kann
nicht.
    Es sei denn: Unser Kontinent ist auch nur
ein Schmerzensfiebertraum, so wie die Provinzen.
    Aber wenn alles ein Traum ist, spielt es
keine Rolle mehr, oder?
    Er starrte auf seine Aufzeichnungen und verstand sie
selbst nicht mehr. Dann verließ er die kleine Hütte und überquerte das
Schlacht- und Scherbenfeld weiter nach Norden, bis er auf blutige Dünen stieß,
hinter diesen Dünen eine zu Holzkohle verbrannte Flotte, und hinter dieser
Flotte das schreiende Meer.
    Zwei Tage wanderte er den Strand entlang, bis er die ausgedehnten
Stätten des Kampfes nicht mehr sehen und im Gaumen schmecken konnte. Dann fand
er einen Pfahl, an dem ein großes Muschelhorn hing. Er nahm das Muschelhorn und
blies kräftig hinein. Ein tiefer Ton sang über die Wellen hin, kräuselte sich
zum Horizont. Eljazokad blies noch einmal, dann ein drittes Mal. Schließlich
erschien das gigantische Schiff, das Stadtschiff von Tengan. Eintausend Segel,
zweitausend Galeerenruder. Wie eine Insel schob es sich über den Horizont
näher, es dauerte Stunden, bis es den entferntesten Brandungsbereich erreichte,
und noch näher an Land konnte es aufgrund seines Tiefgangs nicht fahren. Ein
Beiboot wurde zu Wasser gelassen, bleiche, untote Gestalten legten sich in die
Ruder. Der Mannschaftsmeister stand aufrecht im Bug und rief Eljazokad schon
von weitem an: »Heda, Codas, Seelenkamerad. Bist du nun endlich zum Dienen
bereit?«
    Eljazokad hatte den Namen, den er dem Schiff bei ihrer ersten
Begegnung vor Wandry genannt hatte, schon beinahe wieder vergessen. Nun
erinnerte er sich daran, auch an die Furcht, die ihn damals beherrscht hatte.
Diese

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