Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition)
wer garantierte ihm, dass sie ihn wieder gehen lassen würde, falls er den Fuß in ihren Palast setzte?
»Wenn du mit ihr sprichst, Brucie«, entgegnete er deshalb, »kannst du ihr ausrichten, dass die Antwort weiterhin ›nein‹ lautet.«
Enttäuschung zeichnete sich auf Brucies Gesicht ab. »Bist du sicher, Avi?«
»Tut mir leid.«
Mit hängenden Schultern erhob Brucie sich in die Luft.
»Auf Wiedersehen, Avi«, sagte sie. »Und viel Glück.«
In eine blaue Staubwolke gehüllt, flog sie in die Nacht hinaus und war bald zwischen den Sternen verschwunden.
Hannah drückte Avis Hand. »Alles in Ordnung?«, fragte sie.
»Por-pokey-pop?«, krächzte Pennie.
Avi betrachtete die mit Efeu bewachsene Fassade des Banqueting House. Im nächsten Moment verdeckte eine Wolke den Mond, und das London des Feenreichs versank in tiefblauer Dunkelheit.
»Lass uns reingehen«, meinte er.
Kapitel 17
O ben an der Treppe befand sich, halb verborgen hinter überhängenden Efeuranken, eine Tür aus massivem Holz. Der riesige Türklopfer aus Messing in ihrer Mitte war dem Kopf eines Löwen nachempfunden.
Avi nahm all seinen Mut zusammen und umfasste den Türklopfer, der sich zu seinem Erstaunen unter seinen Fingern bewegte. Als er erschrocken die Hand wegzog, blickte er in ein großes Maul mit scharfen, funkelnden Zähnen.
»Grrrrrr«, machte der Löwenkopf, was allerdings eher wie ein Gähnen klang als wie Gebrüll. »Ich hatte gerade so einen leckeren Traum. Wer wagt es, mich zu wecken?«
Entgeistert starrte Avi den Löwenkopf an und traute seinen Augen nicht. Der kleine Löwe war quicklebendig. Er hatte strahlende Messingaugen und leckte sich mit einer langen Messingzunge die Lippen. Dann schüttelte er den Kopf, dass seine Messingmähne klimperte wie ein Windspiel.
»Äh, ich heiße Avi, und das ist meine Freundin Hannah. Und wer bist du?«
»Wenn du es nötig hast, diese Frage zu stellen, kannst du gleich wieder umkehren«, entgegnete der Löwe.
»Wovon redest du?«
»Er ist das Passwort.«
»Was ist das Passwort?«
»Mein Name.«
»Oh.« Avi seufzte. »Hör zu, wir haben wirklich keine Zeit für Passwörter. Kannst du McNemosyne nicht einfach sagen, dass wir hier sind?«
Der Löwe brüllte wieder. »Kein Passwort, kein Zutritt. So lauten die Vorschriften.«
Mit diesen Worten schloss er die Augen und fing an zu schnarchen.
Verzweifelt drehte Avi sich zu Hannah um. »Hast du einen Vorschlag?«
Sie schüttelte den Kopf. »Der einzige Name, der mir einfällt, ist Leo, und das wäre ein bisschen zu offensichtlich.«
»Meinst du wirklich?«, erwiderte Avi, der mit dem Namen nichts verband. »Ich versuche es trotzdem.« Er beugte sich über den Türklopfer. »Heißt du Leo?«
»Das wäre ein bisschen zu offensichtlich«, verkündete der Löwe, ohne auch nur die Augen zu öffnen.
»So ein Wahnsinn!« Ärgerlich trat Avi gegen die Tür. Wenige Sekunden später öffnete sich ein Fenster im zweiten Stock, und ein vertrautes Gesicht spähte heraus. Es war sehr breit, mit einer flachen Nase und einem Mund, der bis zu den Ohren reichte.
»Verschwindet, ihr Quälgeister!«, rief es.
»McNemosyne!«, antwortete Avi. »Ich bin es. Lässt du uns bitte herein?«
Die Gedächtnismuse sah Avi und Hannah an. »Oh, Avi. Was willst du denn, mein Junge? Beeil dich, hier bei uns ist die Hölle los. Du würdest es kaum glauben!« Sie steckte sich eine Zigarette in den Mund und pustete Qualm in die Nachtluft hinaus.
»Wenn du uns reinlässt, erklären wir dir alles.«
»Nenn dem Löwen das Passwort. Dann reden wir drinnen weiter.« Bevor Avi etwas einwenden konnte, knallte sie das Fenster zu und war verschwunden.
Als Avi sich entnervt umdrehte, stellte er fest, dass Hannah vor der Tür kauerte. Sie krempelte die Ärmel hoch und umfasste den Türklopfer mit beiden Händen.
»Was machst du da?«, fragte er.
»Pssst«, zischte sie. Sie kniff die Augen zu und fuhr mit der Zunge über den Metallring in ihrer Lippe.
Kurz darauf begann der Löwe zu zucken und mit ruckartigen Bewegungen das Maul zu öffnen. Sein nach Kupfer riechender Atem bildete in der kalten Luft Wolken.
»Verrat ihn uns«, murmelte Hannah. »Du weißt, dass du es eigentlich willst.«
Ein Krächzen stieg aus der Kehle des Löwen auf. Dann klappte er das Maul wieder zu.
»Sprich ihn aus«, drängte Hannah.
Der Löwe hielt die Luft an, so lange er konnte, hustete kräftig, verzog das Maul und nieste. Aber es war weniger ein Niesen als ein Ausruf. Leider klang es
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