Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition)
Vögel mit ausladenden Schwänzen tummelten sich in der Kuppel. Sie erinnerten Avi an das Snowdown Aviary.
Der einzige Teil der Kirche, der vom Wildwuchs der Pflanzenwelt verschont geblieben war, war ein Buntglasfenster am anderen Ende des Hauptschiffs. Das dunkelgrüne Blattwerk ringsherum ließ seine strahlenden Farben noch stärker hervortreten.
Es erregte Avis Aufmerksamkeit.
Das Bild auf dem Fenster stellte einen jungen Mann in Rüstung dar, der vor einem goldenen Thron stand. Er hatte ein Schwert in der Hand, aus dem orangefarbene Flammen züngelten. Links von ihm befand sich eine schöne, dunkelhäutige Frau, rechts ein hochgewachsener Mann mit Hakennase. Der Mann und die Frau knieten ihm ehrerbietig zu Füßen.
Gebannt näherte Avi sich dem Fenster.
»Hannah«, rief er über die Schulter gewandt. »Komm und schau dir das an.«
Es erfolgte keine Antwort. Avi ging weiter und rief noch einmal. Als Hannah wieder nicht reagierte, blieb er stehen und drehte sich um.
Hannah befand sich noch immer am selben Fleck unmittelbar hinter dem Eingang. Sie wirkte, als sei sie mitten im Laufen erstarrt, denn ihre Füße berührten nicht den mit Blättern übersäten Boden.
»Hannah?«
Iritha wandte sich mit nachdenklich gerunzelter Stirn ab.
Avi eilte zurück zu Hannah und schwenkte die Hand vor ihrem Gesicht. Sie zuckte nicht mit der Wimper, ja, sie atmete nicht einmal.
Avi unterdrückte seine Panik. Er hatte so etwas schon einmal erlebt, und es gab nur eine Person, die dieses Zauberkunststück zustande brachte. Aber war er wirklich hier?
»Fugit!«, rief Avi. »Du kannst ruhig rauskommen! Ich weiß, dass du da bist!«
Kapitel 25
E in kleiner Mann, der eine enge Hose und ein Netzunterhemd trug, trat unter einer kleinen Palme hervor. Er hatte verfilztes Haar und einen Schädel, der zu groß für seinen Körper zu sein schien und außerdem kegelförmig zulief. In der rechten Hand hielt er einen zappelnden Käfer von der Größe einer Grapefruit. Avi beobachtete, wie er dem Käfer den Kopf abbiss und ihn genüsslich verspeiste. Die Beine des Käfers zuckten noch.
»Hätte mir gleich denken können, dass du irgendwann aufkreuzt«, meinte Fugit.
»Was machst du hier?«, fragte Avi. »Ich dachte, du wärst in die Welt der Sterblichen verbannt worden. Ist das nicht der Grund, warum du im Big Ben wohnst?«
»Big Ben ist die Glocke, du Einfaltspinsel.«
Avi seufzte entnervt. »Dann eben im Saint Stephen’s Tower.«
Fugit brach die Beine des Käfers ab und knabberte sie wie Salzstangen. »Ich gebe zu, dass ich mich gegen Arethusas Wunsch im Feenreich aufhalte. Aber offenbar bin ich überall unerwünscht. Außerdem wimmelt es von Kellens Kundschaftern.«
»Kundschafter?«, hakte Iritha nach. »In der Welt der Sterblichen?«
»Sogar eine ganze Horde.« Fugit erschauderte. »Die Biester sahen aus wie Fledermäuse und sind durch meinen Glockenturm geflattert. Musste deshalb flugs die Beine in die Hand nehmen. Die Idee war, dass sie mich hier wahrscheinlich zuletzt vermuten würden.«
»Wie bist du hergekommen? Durch das Gemälde?«
Fugit schüttelte den Kopf und warf den Rest des Käfers weg. »Blink hat mich geholt. Hat mich einige Überredungskunst gekostet. Aber wie es so schön heißt: Blut ist dicker als Wasser.«
Avi sah sich in der Kirche um. »Und wo ist er jetzt? Blink, meine ich. Eigentlich bin ich hier, um mit ihm zu sprechen.«
»Ich bin nicht meines Bruders Hüter. Blink kommt und geht, wie es ihm gefällt.«
Avi wurde von Enttäuschung ergriffen. »Soll das heißen, dass er nicht da ist? Ich habe einen weiten Weg hinter mir und brauche seine Hilfe.«
»Es ist wichtig«, ergänzte Iritha.
»Das mag sein, ändert jedoch nichts an den Tatsachen.«
Avi musste sich beherrschen, um diesem unerträglichen Zeitgenossen nicht an die Gurgel zu springen. »Gut«, sagte er und atmete tief durch. »Wo ist er?«
Fugit schlenderte zu einem großen Blatt hinüber, das geformt war wie eine Schale, schöpfte eine Handvoll Wasser und trank es unter lautstarkem Schlürfen. »In sonnigeren Gefilden. Dem Land, das die Sterblichen als Neue Welt bezeichnen. Auf der anderen Seite des großen Teichs und ganz weit weg.«
»Neue Welt?«
»Florida. Blink ist im Urlaub. Allerdings dauern die Urlaube bei meinem Bruder nie lang. Der arme Teufel kann einfach nicht stillsitzen. Ständig flitzt er herum, als hätte er Hummeln im Hintern.«
»Und wann erwartest du ihn zurück?«
Mit einem verschlagenen Grinsen zog Fugit eine
Weitere Kostenlose Bücher