Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition)
Uhr so groß wie ein Dessertteller aus der Tasche seiner Reithose. Als Avi sich vorbeugte, sah er mindestens zehn Zeiger, von denen sich jeder in einer anderen Geschwindigkeit drehte. Fugits Lippen bewegten sich beim Nachrechnen. Dann blickte er auf. »Ungefähr jetzt!«, verkündete er.
Im nächsten Moment stand Blink wie durch Zauberhand vor ihnen, und zwar ohne einen Lichtblitz, eine Luftbewegung, ein Donnern oder sonst eine der Begleiterscheinungen, die Avi mit dem magischen Wandern zwischen den Welten verband. Blink war einfach aus dem Nichts neben Fugit aufgetaucht.
Die beiden Brüder ähnelten sich sehr, nur mit dem Unterschied, dass Blink eine Glatze hatte und ein wenig kleiner war als Fugit. Bekleidet war er lediglich mit schauderhaften Bermudashorts. Sein magerer Körper war, anders als der seines blassen Bruders, von der Sonne dunkel gebräunt.
»Mann, die Mädchen an den Stränden!«, verkündete er. »Was die heutzutage alles nicht anhaben!« Dann bemerkte er Avi und Iritha. »Hallo, Kleine. Dein Gesicht kommt mir bekannt vor.«
Iritha wollte etwas erwidern, als Blink verschwand, wie er zuvor erschienen war.
»Wo ist er denn jetzt hin?«, rief Avi ungeduldig.
»Keine Ahnung«, sagte Fugit.
»Ich wechsle gern den Blickwinkel«, erklang da eine Stimme aus luftiger Höhe. »Da kriegt man eine Menge zu sehen!«
Avi schaute nach oben, wo die riesige Statue eines bärtigen Mannes emporragte. Der Großteil des Standbilds war dicht mit wildem Wein bewachsen, nur der Kopf lag frei, und auf diesem Kopf saß, mit den Beinen baumelnd wie ein Kind, Blink.
»Kann ich mit dir reden?«, fragte Avi.
»Nur zu«, entgegnete Blink. »Tu dir keinen Zwang an.«
Mit diesen Worten verschwand er erneut.
Vergeblich hielt Avi in der Kirche Ausschau und drehte sich dann achselzuckend zu seiner Tante um. Er wollte sich gerade an Fugit wenden, als dicht hinter ihm Blinks Stimme ertönte. Erschrocken wirbelte er herum und packte den kleinen Mann am Arm.
»Kannst du bitte mal eine Minute stehen bleiben?«, sagte er.
Aber Blink verschwand schon wieder, so dass Avi ins Leere griff. Eine Sekunde später erschien er an derselben Stelle. Avi spürte, wie seine Finger sich um warme Haut schlossen, doch er zuckte zusammen, als er feststellte, dass er nicht Blinks Arm festhielt, sondern eine leuchtend gelbe Schlange. Während er hastig die Hand wegzog, nahm Blink die Schlange und warf sie ins Gebüsch.
»Leichtgläubig wie dein Vater«, meinte Blink lachend. »Oren habe ich oft mit diesem Trick drangekriegt.«
»Woher weißt du, dass er mein Vater ist?«
Blinks Miene wurde ernst. »Ich bin nie jemandem begegnet, der gradliniger gewesen wäre als Oren. Gerade Haltung und immer geradeheraus. Und diese Eigenschaften erkenne ich auch bei dir, mein Junge. Du bist eindeutig Orens Sohn.«
Avi holte tief Luft. »Mein Vater ist der Grund, warum ich hier bin.«
Blink nickte. »Das habe ich mir gleich gedacht.« Er wies mit dem Kopf auf Hannah, die immer noch erstarrt am Eingang der Kirche stand. »Gehört die Sterbliche auch zu dir? Die Koboldin kenne ich, aber das Mädchen nicht. Sieht spitze aus, findest du nicht auch?«
»Das ist meine Freundin«, erwiderte Avi und verdrehte die Augen. »Ja, sie gehören zu mir.«
Blink wandte sich an seinen Bruder. »Fugit, sei ein braver Junge und zieh die Uhr auf.«
Fugit streckte ihm zwar die Zunge heraus, hob aber dennoch die Hand. Im nächsten Moment setzte Hannah sich in Bewegung und stolperte über den mit Blättern bedeckten Boden auf Avi und die Brüder zu. Gleichzeitig erfüllten plötzlich Tausende von Geräuschen die Kirche, die Avi bis jetzt gar nicht vermisst hatte. Insekten zirpten, Laub raschelte, und Wasser tropfte leise vor sich hin.
»Avi«, sagte Hannah. »Wie bist du da rübergekommen?« Ihre Stimme erstarb, und ihre Augen weiteten sich. »Wer sind denn die beiden?«
»Hannah«, antwortete Avi, »darf ich dir Fugit vorstellen?«
Fugit leckte sich die Finger ab und hielt Hannah die Hand hin. »Ich bin entzückt, meine Liebe.«
Hannah, die bereits von Avi wusste, wer Fugit war, griff nicht danach.
»Dann musst du Blink sein«, stellte sie fest, ehe Avi Gelegenheit hatte, sie miteinander bekannt zu machen. »Tja, ich hoffe, dass du wirklich so gut bist, wie alle behaupten.«
»Du würdest nicht glauben, was ich alles kann«, entgegnete Blink. Dabei musterte er sie von Kopf bis Fuß, und zwar mit einem lüsternen Grinsen, das Avi gar nicht gefiel.
»Sie meinte damit das
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