Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition)
Einer – scharfkantig und etwa so lang wie die Klinge seines Schwertes – schwebte nur einen knappen Meter vor seiner Brust.
»Lauft!«, rief Fugit. Sein Gesicht war vor Anstrengung verzerrt, und er ballte fest die Fäuste. »Du stammst aus dem Feenreich … deine Freundin ist eine Sterbliche … das macht es schwierig … das Gleichgewicht zu halten.«
Die Scherben bewegten sich ein paar Zentimeter und hielten wieder inne.
Avi nahm Hannah bei der Hand, dann rannten sie hinter Iritha, die inzwischen ein Ozelot war, her durch das Kirchenschiff. Auf der anderen Seite, weit außerhalb der Reichweite der Glassplitter, waren hölzerne, mit Schimmel verkrustete Bänke zu einem Haufen gestapelt, hinter dem sie in Deckung gingen. Wenige Sekunden später machte auch Fugit einen Satz hinter die Bänke.
Er schnappte nach Luft und lockerte seine Fäuste.
Die Wolke aus Glasscherben sauste weiter durch das Kirchenschiff, prasselte auf die Pflanzen am Eingang nieder und zerfetzte ihre Blätter. Einige wenige Splitter landeten auf dem Boden neben Avis Füßen, doch die Bänke schützten sie vor der Gefahr.
Als es vorbei war, stand Avi auf. Iritha stieß wieder ein Knurren aus.
»Was war denn das gerade?«, fragte Hannah. Sie kauerte, Pennie in den Armen, hinter einer Bank. Das Pennapor zitterte wie Espenlaub.
Blink lief händeringend auf sie zu. Avi hatte ihn nicht kommen sehen. »Goblins!«, rief Blink. Er stürmte auf Fugit zu und legte ihm den Arm um die Taille. »Sie sind überall. Da gibt es nur eines!«
»Was ist mit uns?«, protestierte Avi, bevor die beiden verschwinden konnten. »Wollt ihr uns einfach im Stich lassen?«
»Du missverstehst mich«, entgegnete Blink. Plötzlich klang seine Stimme anders und wurde eine Oktave tiefer. Aus seinen geschmacklosen Bermudashorts förderte er einen dünnen, gekrümmten Dolch zutage. »Niemand rührt sich von der Stelle.«
Mit einem hämischen Grinsen wirbelte er den Dolch zwischen den Fingern und stieß ihn Fugit plötzlich tief in die Brust. Hannah schrie auf. Nach Luft schnappend, versuchte Fugit, sich dem Griff seines Bruders zu entwinden, doch Blink hielt ihn fest, umfasste geschickt den Dolch in einem anderen Winkel und drehte ihn mit einem kräftigen Ruck herum. Blut spritzte aus der Wunde und quoll bald auch aus Fugits Mund und Nase. Hilflos fuchtelte er mit der Hand und griff Blink ins grinsende Gesicht. Schließlich ballte er stöhnend die Faust.
Alles rings um Avi erstarrte. Alles bis auf Fugit.
»Nicht … Blink«, keuchte er.
»Was?«, fragte Avi, erschüttert von der Szene, deren Zeuge er soeben geworden war. Er fühlte sich entsetzlich hilflos. »Was willst du mir sagen?«
»Kund …« Das war der letzte Ton, der aus Fugits blutigem Mund kam. Seine Augen rollten zurück, und sein Körper erschlaffte in der Umarmung seines verräterischen Bruders. Seine Faust lockerte sich, und als seine Finger sich öffneten, nahm die Zeit wieder ihren Lauf.
Sofort setzte Blink sich in Bewegung. Er schleuderte Fugits Leiche beiseite und beugte sich unter hämischem Gelächter weit vor. Aus seinem Brustkorb drang ein unheilverkündendes Knacken. Avi, der dieses Geräusch nur zu gut kannte, fiel es wie Schuppen von den Augen.
Kundschafter.
Der Mörder, der nicht Blink war, verwandelte sich, jedoch nicht so elegant wie Iritha, sondern auf abstoßende und brutale Weise. Wie gebannt sah Avi zu, bis ihm sein Feenschwert einfiel. Er zog es und streckte die kurze, gerade Klinge aus. Was mochte wohl geschehen, wenn man jemanden während des Verwandlungsvorgangs tötete?
Es gab nur einen Weg, das herauszufinden.
Kapitel 26
A vi stieß dem Mörder die Waffe mit Wucht in den Bauch. Obwohl sein Verstand vergessen hatte, wie man ein Schwert führte, wusste sein Körper genau, was er tat.
Er hatte zwar richtig getroffen, aber die letzten Zuckungen der Verwandlung durchkreuzten seine Pläne, denn als Avis Widersacher ruckartig einen Satz nach hinten machte, glitt die Klinge ab. Im gleichen Moment nahm der Gegner seine endgültige Gestalt an: ein hochgewachsener, nackter Mann mit kräftigen Gliedmaßen und schmalen, kantigen Zügen. Die großen Ohren wiesen ein kompliziertes Spiralmuster auf. Anstelle von Blinks geschmacklosen Bermudashorts bedeckte dichtes, orangefarbenes Fell seinen Schritt. Avi erkannte sein Gesicht wieder. Er war einer der beiden Kundschafter, die ihn im Globe Theatre angegriffen hatten. Seitdem war so viel Zeit vergangen, als wäre es in einem anderen Leben
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