Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition)
wieder knirschend auf eine Scherbe. Während Drake ihn beharrlich auf eine Baumgruppe zudrängte, versuchte er verzweifelt, sich die Kenntnisse ins Gedächtnis zu rufen, die ihm angeblich früher einmal vermittelt worden waren.
Und dann, plötzlich, wurde ihm klar, wo sein Fehler lag.
Du kannst dich nicht erinnern. Also versuch es gar nicht erst. Überlass es einfach deinem Körper.
Von diesem Augenblick an wendete sich das Blatt. Was Drake auch immer versuchte, Avi war ihm stets einen Schritt voraus. Seine Anspannung löste sich, als seine Muskeln ihre Aufgabe übernahmen. Jetzt bestimmte er das Tempo und jagte Drake von den Bänken weg und rückwärts durch die Arena, die ihre Füße mitten in dieser dschungelartigen Kathedrale ausgetreten hatten.
Schließlich stand Drake mit dem Rücken zum Sockel einer der gewaltigen Statuen. Aus dem Augenwinkel bemerkte Avi, dass Iritha auf einem Ast saß und die Vorgänge aufmerksam beobachtete. Sie war ihm die ganze Zeit gefolgt, stets sprungbereit, für den Fall, dass er unterliegen sollte.
»Gib auf!«, sagte Avi und hielt Drake die Spitze seines Schwerts an die Kehle. Frisches Blut rann dem Kundschafter den Hals hinunter.
Anstelle einer Antwort lächelte Drake nur und schaute über Avis Schulter hinweg das Kirchenschiff entlang zum zerbrochenen Fenster. Avi riskierte einen Blick in diese Richtung. Zwei Goblins, beide mit dicken ledernen Wämsern bekleidet, kletterten durch den zerborstenen Rahmen. Ihnen folgten vier ihrer Spießgesellen. Die sechs sprangen in die Kathedrale. Levi erschien als letzter. Er trug eine lange graue Tunika und hatte seinen Degen mit der schwarzen Klinge bei sich, den er durch die Luft sausen ließ wie eine Peitsche.
»Avi!«, rief Hannah. »Wir müssen weg!«
»Ja, Avi«, höhnte Drake. »Lauf ruhig davon!«
Nur eine winzige Bewegung wäre nötig gewesen, um dem Kundschafter die Kehle durchzuschneiden, doch Avi brachte es nicht über sich. Offenbar erkannte Drake das an seinen Augen, denn er duckte sich unter der Klinge weg und wischte sich das Blut ab. Weit kam er nicht, denn Hannah schwang das Holzstück und schlug ihm damit gegen die Schläfe. Drake gaben die Knie nach, und der Kobold stürzte zu Boden.
Am anderen Ende der Kathedrale stieß Levi einen Schrei aus. Seine Goblins rannten los.
Iritha kam von ihrem Baum herunter und landete auf vier Pfoten vor Avi.
Sobald sie den Boden berührte, wurde sie zu einer kauernden Koboldin.
»Flieht!«, sagte sie.
»Aber was ist mit dir?«, protestierte Avi.
Doch Irithas Aufmerksamkeit galt den heranrückenden Goblins.
»Ich komme nach!«, erwiderte sie. Das letzte Wort klang wie ein tiefes Knurren. Im nächsten Moment schwoll ihr Körper an, ihre Muskeln wuchsen, ihre Gliedmaßen veränderten die Form und wurden dabei immer größer. Die Nägel verwandelten sich in messerscharfe Krallen, und als Iritha den Mund aufriss, kamen Zähne wie Dolche in Sicht. Avi fand sich neben einer gewaltigen hellbraunen Löwin wieder, der er nur bis zur Schulter reichte.
Ihr Gebrüll hallte in dem riesigen Raum wider. Die Goblins blieben ruckartig stehen und sahen Levi an.
»Trödelt nicht herum!«, kreischte der. »Attacke!«
»Komm«, sagte Hannah und nahm Avis Hand. Während sie losliefen, griff Iritha an. Die Goblins gaben ein Angstgeheul von sich. Avi sah, dass Iritha mitten zwischen ihre Widersacher hineinsprang und einen von ihnen plattdrückte wie eine Katze eine Maus. Levi schob einen anderen Goblin vorwärts und hielt dabei Ausschau nach einem Fluchtweg.
An der Tür der Kathedrale wollte Avi Hannah das Schwert zurückgeben. »Es ist deins«, meinte er.
»Behalt du es«, keuchte sie. Pennie klammerte sich mit Leibeskräften an ihren Rücken.
Gefolgt von Irithas Gebrüll und den Schreien der Goblins stürmten sie aus der Kathedrale.
Immer wieder blickte Avi sich nach Iritha um und vergewisserte sich, dass ihnen keine Goblins auf den Fersen waren. Doch niemand verließ die Kathedrale oder erschien aus den umliegenden Straßen. Der Nebel hatte sich gelichtet. Nur über dem Fluss und den Gebäuden auf der Brücke waberten noch die letzten Schwaden.
Pennie breitete ihre durchscheinenden Flügel aus und flatterte voraus. Als sie die Veranda der Chapel of Saint Thomas erreichten, landete sie auf dem Türpfosten und sträubte ihr Fell. Avi stürmte durch das Tor. Hannah folgte ihm keuchend und legte ihm die Arme auf die Schultern. »Ist sie herausgekommen?«
»Nein, ich glaube nicht«, erwiderte
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