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Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Titel: Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Lindner , Hans-Dietrich Genscher
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mit der Bekämpfung von grenzüberschreitender Geldwäsche. Im Prinzip, meine ich, muss Europa also von unten wachsen – nur braucht es einen politischen Rahmen für dieses gemeinsame Leben. Eine solche Wende zum Gedanken der Subsidiarität könnte vielleicht auch die Skeptiker in anderen Nationen, ich denke wieder an die gescheiterten Referenden zum Verfassungsvertrag, überzeugen.
    GENSCHER
    Es freut mich besonders, Herr Lindner, dass Sie Delors so herausheben. Für mich ist Jacques Delors der beste Kommissionspräsident, den die europäische Gemeinschaft bisher hatte.
    Gestatten Sie mir, dass ich an dieser Stelle einen Moment vom Thema abschweife. Immer wenn der Name Delors fällt, muss ich an ein Telefonat denken, das er und ich geführt haben. 1989 war das, kurz nachdem in Prag Tausende DDR -Flüchtlinge in die Freiheit reisen durften. Delors rief mich an und fragte: »Hans-Dietrich, müssen wir uns in der Europäischen Gemeinschaft auf ein 13 . Mitglied einstellen?« Sie wissen, Herr Lindner, die EG bestand damals aus zwölf Mitgliedsstaaten. Meine Antwort an Delors: »Es gibt kein 13 . Mitglied, aber eines der zwölf wird größer werden.« Delors sagte nur einen Satz: »Ich habe verstanden.« Herr Lindner, in dem Augenblick, da die ostdeutschen Länder Teil der Bundesrepublik geworden sind, sind sie auch Teil der Europäischen Gemeinschaft geworden. Das war die Morgengabe der EG an das vereinte Deutschland. Das sollten sich die deutschen Europaskeptiker von heute vor Augen führen. Wir haben ja gesehen, wie später die Staaten des Warschauer Paktes jahrelang Beitrittsverhandlungen führen mussten, um in die EU aufgenommen zu werden.
    Womit wir wieder bei Ihrem eigentlichen Thema wären, dem Gedanken der Subsidiarität. Natürlich muss nicht alles Kleinklein geregelt werden, aber ich wünsche mir hier schon mehr Aufmerksamkeit der Ressorts in den Mitgliedsstaaten und auch des Europäischen Parlaments. Dabei darf man aber nicht verschweigen, dass es Fälle gibt, wo Ressorts sich in ihrem Land nicht durchsetzen können, und dann versuchen ihre Sache über Brüssel zu lancieren. Oder anders gesagt: Nicht jeder Trompetenstoß aus Brüssel kommt aus einer europäischen Trompete.
    LINDNER
    Für das institutionelle Gefüge bedeutsam ist noch, wer über die Zuordnung einer Kompetenz entscheidet. Sollte sich die Kommission selbst mandatieren können, eine Aufgabe an sich zu ziehen? Durch Gesetzgebung oder eine Art lockere, offene Koordinierung der Mitgliedsstaaten, durch die aber dann doch der nationale Handlungsrahmen eingeschränkt wird? Oder durch den »goldenen Zügel« von Finanzzusagen? Ich bin für eine klare Kompetenzordnung: nicht nach dem Prinzip »Marmorkuchen«, sondern nach dem Prinzip »Schichttorte«. Der nationale Einfluss auf Reichweite und Umfang europäischer Kompetenzen muss gewahrt, sogar ausgebaut werden. Das bedeutet für mich, dass der Europäische Rat über diese Fragen entscheiden sollte. Gerade bei Ihnen, Herr Genscher, ist die Sensibilität hier groß, das spüre ich immer wieder. Sie befürchten offensichtlich, wer immer eine Veränderung europäischer Institutionen fordert oder vielleicht auch eine gewisse Rückübertragung von Kompetenzen, richte sich grundsätzlich gegen Europa. Sehe ich das richtig?
    GENSCHER
    Nein, nicht bei Kompetenzübertragung, hier geht es um die Grundrichtung der europäischen Politik. Im übrigen ist Europa in vieler Hinsicht weiter fortgeschritten als manche ahnen. Um ein Beispiel zu nennen: Nehmen Sie die Industrieregion links und rechts entlang des Rheins. Die wirtschaftliche Verflechtung geht inzwischen so weit, dass manche Interessen in Nordrhein-Westfalen mit denen des belgischen Industriegebiets mehr übereinstimmen als mit Interessen in Süddeutschland.
    LINDNER
    Ganz ausdrücklich. Man muss nur die großen Infrastrukturprojekte bedenken, die wir mit Belgiern und Niederländern vorbereiten – das sind Projekte, die zeigen, wie stark wir bereits verflochten sind. Die politischen Grenzen sind bereits heute nicht mehr die wirtschaftlichen Grenzen.
    GENSCHER
    Wenn wir vom Regionalen sprechen, dürfen wir also nicht nur in den organisierten Regionen von heute denken, also deutschen Ländern, den geographischen Regionen. Was wirtschaftlich-industriell zusammenwächst – auch mit Polen, zum Beispiel –, ist sensationell. So ist Europa auch im Begriff, sich neu zu konstruieren. Wenn Sie bedenken, wie sehr wir trotz aller auch emotionalen Vorbehalte, die

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