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Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Titel: Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Lindner , Hans-Dietrich Genscher
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heraushalten. Die Widerstände in der CDU sind grotesk, insbesondere wenn man bedenkt, dass Adenauer und Erhard damals, also 1961 / 1962 , schon dafür plädierten, die Türkei schnell hereinzuholen in die Gemeinschaft!
    LINDNER
    Allein schon aus geostrategischen Gründen ist das heute aktueller denn je. Die Türkei ist Europas Grenze zu einem veränderten, instabilen Nahen Osten. Die Türkei ist ein wichtiger Faktor für Stabilität in diesem Raum, nebenbei auch eine prosperierende Volkswirtschaft.
    GENSCHER
    Wissen Sie, wie das Abkommen mit der Türkei – das war das erste Assoziierungsabkommen – entstanden ist? Sie müssen den Zeitpunkt bedenken: Zustande kam es im Herbst 1962 . Bitte erinnern Sie sich, was ein Jahr zuvor geschah: der Bau der Mauer. Der Zugang zum westdeutschen Arbeitsmarkt aus der DDR war abgeschnitten, sodass sie in Bonn überlegt haben, woher die fehlenden Arbeitskräfte kommen sollen. In Portugal, Spanien, Italien, Jugoslawien wurden deshalb Anwerbebüros eingerichtet. Weil aber nicht ausreichend Bewerber kamen, hat man sich entschlossen, die Türken zu fragen. So wurde ein Abkommen getroffen. Und was man damals mitbeschlossen hat, war die Aufhebung der Visumspflicht zwischen der Türkei und Deutschland! Das hieß, eine enorme Migration ganzer Familien setzte plötzlich ein. Die Visumspflicht war auch Anlass einer Diskussion im Kabinett zwischen Helmut Schmidt und mir, weil der Kanzler einwandte, wir dürften nicht zum Einwanderungsland werden. Ich hielt dagegen, dass wir das erstens schon seien, und dass wir zweitens unsere Einwanderungspolitik verbessern müssten. Wir sollten uns nämlich auch die Leute aussuchen können, die wir zu uns holen wollen – abgesehen von den Flüchtlingen.
    LINDNER
    Das Zuwanderungsrecht ist bis heute eine Baustelle.
    GENSCHER
    Kann heute falsch sein, was damals richtig war, nämlich, dass wir das Zusammenleben von Türken mit Deutschen in Deutschland als Gewinn für beide betrachten? Kann es falsch sein, dass wir in der auf gemeinsame Werte gegründeten westlichen Allianz die Türkei als einen diesen Werten verpflichteten Partner seit langem betrachten? Ist es nicht so, dass die Türkei seit ihrem Beitritt zur NATO und nach Abschluss des Assoziierungsvertrages Anfang der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts bedeutsame Fortschritte bei der Verwirklichung der gemeinsamen Werteordnung gemacht hat? Und bedeutet nicht der Beschluss zur Aufnahme der Beitrittsverhandlungen, dass es eine gemeinsame Zielsetzung gibt, nämlich die Mitgliedschaft der Türkei in der EU ?
    Natürlich wird ergebnisoffen verhandelt. Doch Ergebnisoffenheit ist eine Binsenwahrheit, denn jede Verhandlung ist ergebnisoffen, solange sie nicht abgeschlossen ist. Die Frage ist, ob die Verhandlungen ergebnisorientiert geführt werden, nämlich mit dem Willen, sie zu einem positiven Ergebnis zu bringen. Hier allerdings wird Erfolgsorientiertheit schon verlangt. Jedes andere Verhandlungsziel wäre eine Enttäuschung des Verhandlungspartners.
    Die kalte Schulter für die Türkei aus religiösen Gründen wäre eine Beschädigung der Werteordnung für uns als Deutsche des Grundgesetzes und für uns als Europäer des Wertekodex der Europäischen Union. Die Fragen, die hier aufgeworfen werden, berühren deshalb nicht nur das EU -Türkei-Verhältnis, sondern genauso das Selbstverständnis unserer Europäischen Union.
    LINDNER
    Ich bin hinsichtlich der Türkei aufgeschlossen. Europa ist kein christlicher Club, ich bin auch kein geographischer Purist. Für mich ist zweierlei entscheidend: erstens, ob die Europäische Union hinsichtlich ihrer inneren Struktur aufnahmebereit ist. Wir haben ja einiges an institutionellem Veränderungsbedarf diskutiert. Zum anderen stellt sich die Frage der Aufnahmefähigkeit der Türkei. Europa teilt die Werte des Säkularismus und des Rechtsstaats. In der Türkei hat es manche Fortschritte gegeben, aber beispielsweise die religiöse Prägung der Politik und der Umgang mit Minderheiten werfen noch Fragen auf. Ich hoffe also auf Fortschritte in der Türkei. Davon würde Europa heute genauso profitieren wie die Türkei selbst.
    GENSCHER
    Auch bei der Türkei muss gelten:
pacta sunt servanda
. Die EU hat mit den Kopenhagener Kriterien die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft festgelegt. Wenn die Türkei diese Kriterien erfüllt, dann muss ihr auch das Tor geöffnet werden. Mit Blick auf die Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten wird nach meiner Überzeugung die

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