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Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Titel: Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Lindner , Hans-Dietrich Genscher
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Innovation von Horst Herold. Er wollte schon früh die Gesellschaft »durchsichtig« machen.
    GENSCHER
    Die Polizei verfügte über Profile der Täter und musste nun sehen, ob daraus auch Bewegungsprofile zu gewinnen waren. Nach meiner festen Überzeugung bedeutete das keineswegs, dass mit solchen Fahndungsmethoden der Freiheitsraum für andere Bürger eingeschränkt worden wäre. Heute aber kann jeder das Opfer von Datensammlungen sein.
    LINDNER
    Ich bin nicht sicher, aber meines Wissens hat Gerhart Baum als einer Ihrer Nachfolger im Amt des Innenministers die Rasterfahndung kritischer gesehen. Mindestens sieht er das heute differenziert. Nicht ganz zu Unrecht. Die Idee war ja, anhand von bestimmten Täterprofilen zu Ermittlungserfolgen zu kommen. Zeigt sich eine Übereinstimmung, ruft das die Polizei auf den Plan – bei unbescholtenen Bürgern! Obwohl es also keinen konkreten Verdacht gibt, sondern nur ein zufälliges Muster, das übereinstimmt mit einem Täterprofil, muss sich der Einzelne rechtfertigen gegenüber dem Staat. Nach dem 11 . September 2001 standen plötzlich Kriminalbeamte am Arbeitsplatz eines Freundes meiner Frau: Er ist gebürtiger Ägypter, beruflich oft in die USA gereist und Besitzer eines Pilotenscheins. Ein wirklich unbescholtener Mann, der nun den Verdacht entkräften musste, Mitglied einer Schläferzelle zu sein. Das ist verstörend. Im übrigen ist das nicht zielführend, wenn die Behörden einer Unzahl von unbegründeten Verdachtsfällen nachgehen. Mag sich die westliche Welt auch in einem absoluten Ausnahmezustand befunden haben, solche Verfahren kann ich kaum verhältnismäßig finden.
    GENSCHER
    Dass die Sensibilitäten höher werden, weil sich die technologischen Möglichkeiten rasant fortentwickeln und unendlich viele Einblicke in das Verhalten jedes Bürgers machbar geworden sind, ist ja selbstverständlich. Gerade deshalb ist Wachsamkeit dringend geboten. Ich glaube, allein schon die Dimension des heute Möglichen lässt wirkliche Vergleiche mit Herolds Fahndungsmethoden nicht zu. Zudem hat allein schon die Integrität seiner Person verhindert, ihm einen Anschlag auf den freiheitlichen Rechtsstaat auch nur zu unterstellen. Wir bewegen uns hier in einem Bereich, in dem eine gestern noch vertretbare Maßnahme aufgrund neuer technischer Entwicklungen höchst bedenklich wird. Ich glaube, dass solche Perspektiven die Sensibilität von Gerhart Baum herausgefordert haben. Das ist es, was einen Liberalen auch herausfordern muss.
    LINDNER
    Umso erstaunlicher ist es, dass heute gerade auch diejenigen, die sich selbst als »Bürgerliche« sehen, im Umgang mit solchen Freiheitsrisiken eine gewisse Naivität an den Tag legen. Das sind dieselben Leute, denen die Hecke im Garten nicht hoch genug sein kann, damit die Nachbarn nicht ins Wohnzimmer hineingucken können, aber entspannt hinnehmen, dass Unbefugte Datenraster über sie anlegen. Die Verknüpfung von zwei für sich genommen banalen Informationen kann heute tiefe Rückschlüsse erlauben: Wenn die Ehefrau eine Immobilienbörse im Internet besucht, interessiert sie sich vielleicht nur für den Markt. Wenn sie vorher die Website eines auf Scheidungsrecht spezialisierten Fachanwalts besucht hat, liegen andere Mutmaßungen nahe. Wenn die Kreditkartendaten, die Mobilfunkdaten, die Navigationsdaten aus dem Auto verbunden werden – technisch überhaupt kein Problem –, dann kann ein komplettes Persönlichkeitsprofil erstellt werden. Viele machen sich, befürchte ich, gar keine Vorstellung davon, was das konkret bedeutet. Das Recht auf Privatsphäre kann man längst nicht mehr mit der Heckenschere durchsetzen.
    GENSCHER
    Die Menschen stumpfen ab, weil die Entwicklung sie überrollt.
    LINDNER
    Man muss das umso klarer benennen: Wer sich überwacht fühlt, der ändert sein Verhalten. Eine schlimme Vorstellung. Man hat etwa messen können, dass nach der zeitweiligen Einführung der Vorratsdatenspeicherung vor einigen Jahren die anonymen Hilfsangebote per Telefon weniger genutzt wurden. Bereits heute ist ja eine nahezu lückenlose Überwachung und Ausspähung möglich. Und zwar weltweit. Der amerikanische Geheimdienst NSA wertet beispielsweise in einem Umfang Daten aus, gegen die George Orwells »Big Brother« bald harmlos sein wird. Das ist eine völlige Entgrenzung staatlicher Macht – gegenüber Privaträumen und territorial. In Deutschland entwickeln die Sicherheitsbehörden Schadsoftware, mit denen auch ein Eindringen in den Intimbereich

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