Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)
Gebot: Im Zweifel für die Freiheit.
Die damalige Herausforderung des freiheitlichen Rechtsstaats war außergewöhnlich. Auf der einen Seite standen die Täter, die sich mit ihren Mordtaten zu Herren über Leben und Tod erhoben. Für sie war Mord kein Verbrechen, sondern ein selbstverständliches politisches Kampfmittel. Sie suchten sich ein Mordopfer aus, und wenn es darum ging, die Tat auszuüben, spielte es für sie keine Rolle, ob andere Menschen auch zu Opfern wurden. Wie viele Polizeibeamte und Fahrer wurden kaltblütig umgebracht? Dann gab es, wie eben bereits erwähnt, eine Unterstützerszene, die das Mordgeschehen verharmloste und den Tätern edle Motive unterstellte. Gleichzeitig wurde der freiheitliche Rechtsstaat in der Ausübung seiner Schutzverantwortung für Leben und Freiheit seiner Bürger diffamiert. Wenn es am Ende dennoch zur Einsicht kam, gab es dafür zwei Gründe. Unser Staat ließ sich nicht provozieren. Der Rechtsstaat blieb ein Rechtsstaat. Dieser Rechtsstaat erwies sich nicht als ein Staat der Rache, sondern als ein Staat, der auch dem Mörder gegenüber gerecht blieb, der zur Umkehr aufrief und bei dem Bemühen um Umkehr auch den Dialog mit den Tätern nicht scheute.
Klaus Kinkel und Gerhart Baum haben sich dieser nicht einfachen Aufgabe gestellt und dafür auch manche Kritik einstecken müssen. Denn, das wollen wir nicht vergessen, es gab auch Forderungen nach härteren, vermeintlich wirksameren Gesetzen. In meiner Zeit als Innenminister bin ich darauf nicht eingegangen, aber alles, was die Effektivität der Verbrechensbekämpfung im Rahmen der bestehenden Gesetze verbesserte, geschah. Ausbau und Modernisierung des BKA und Umstellung des BGS auf polizeiliche Aufgaben sind nur zwei besonders deutliche Beispiele.
Wissen Sie, Herr Lindner, damals fühlte ich mich in besonderer Weise auf dem Prüfstand. Ich war der erste liberale Bundesinnenminister seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Bei unserem Eintritt in die Regierung mit der SPD gab es viele Stimmen in unserer Partei, die gegen die Übernahme des Innenministeriums durch uns waren, weil sie fürchteten, die liberale Identität könnte verletzt werden. Ich war der Meinung, es sei geradezu die Pflicht der Liberalen, dieses Ministerium zu übernehmen, um die innere Liberalität zu garantieren. Nun kam es darauf an, das auch in der Praxis unter Beweis zu stellen.
In der ersten Legislaturperiode hatte der Justizminister Thomas Dehler, für mich ein großes liberales Vorbild, einen leidenschaftlichen Kampf gegen die Bemühungen um Wiedereinführung der Todesstrafe geführt. Jetzt standen wir wieder auf dem Prüfstand. Hier muss jeder Liberale ein hohes Maß an Sensibilität unter Beweis stellen, will er nicht unsere liberale Identität verletzen. Sie haben ja schon miterlebt, was es bedeutete, dass die Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in ihrer ersten Amtszeit zurücktrat, als sich die Mehrheit von Partei und Fraktion in einer anderen gravierenden Frage auf einen opportunistischen Irr- und Abweg begab. Für Frau Leutheusser-Schnarrenberger mag es bei zwei Gelegenheiten eine große Befriedigung gewesen sein, dass sich im nachhinein die bessere Einsicht durchsetzte. Einmal, dass sie mit einer Minderheit von Unterstützern, zu der auch Otto Graf Lambsdorff und ich gehörten, vom Bundesverfassungsgericht Recht bekam, und dann, dass sie bei der Neubildung der Bundesregierung 2009 das Amt der Justizministerin wiederum übernehmen konnte. Auf der anderen Seite war ich verwundert über die Flexibilität, die manche in Sachen Rechtsstaat zeigten, die uns 1982 beim Regierungswechsel verließen mit der Begründung, sie seien das ihrer liberalen Überzeugung schuldig, und die dann als Mitglieder der SPD für Gesetze stimmten, die sie vorher ganz gewiss abgelehnt hätten.
LINDNER
Heute ist der internationale Terror für Innenminister die Rechtfertigung für eine Überwachung der Bürger, die mir zu weit geht. Dabei macht es gar keinen Unterschied, ob der Sheriffstern schwarz oder rot ist.
GENSCHER
Ich hatte damals das Glück mit dem BKA -Chef Horst Herold einen Mann an meiner Seite zu haben, der mit mir in dem Grundprinzip »Im Zweifel für die Freiheit« übereinstimmte. Auf der anderen Seite war er ungewöhnlich ideenreich. Nach meiner Überzeugung war das Ziel der führenden Köpfe innerhalb der RAF , den Staat so herauszufordern, dass er mit seinen Reaktionen als Obrigkeits-, ja als Unrechtsstaat in Erscheinung treten
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