Brüder der Drachen
knapp, um nach den Soldaten zu suchen, die sich in den weiten Wäldern dieses Landes verbargen – und die Zeit reichte auch nicht für langwierige Erklärungen. Verbittert hatte Eldilion erkennen müssen, wie tief die Angst in den Menschen verwurzelt saß, gesät durch Angbolds Lügen, mit denen er sie in diesen Krieg getrieben hatte. Schwer verwundete Soldaten hatten lieber den Tod in der Wildnis in Kauf genommen, als sich den Truppen des Westreiches zu ergeben, denn man hatte ihnen erzählt, dass Calidor seine Gefangenen den Dämonen zum Fraß vorwarf.
Nur wenige Soldaten waren bereit gewesen, sich den Drachenrittern anzuschließen, und dies war vor allem der Königin zu verdanken. Gemeinsam mit Sad Eldon nutzte sie jede Gelegenheit, zu den versprengten Soldaten zu sprechen, und ihre Schönheit und das gewinnende Auftreten des jungen Priesters konnten viele Ängste und Bedenken zerstreuen. Eldilion hatte diesen Männern die Aufgabe gegeben, für die er selbst keine Zeit hatte – in den Wäldern nach Überlebenden zu suchen und den Abtransport der Verwundeten zu organisieren. Und er gebot ihnen, dass alle unter ihnen, die unverwundet waren, sich der Königin für die entscheidende Schlacht anschließen sollten.
Endlich, als ihr Pfad den Kamm einer Hügelkette erreichte, sahen sie das Ziel ihrer Reise vor sich. Inmitten des fruchtbaren Tieflandes an den Ufern des Königsflusses lag die Stadt Car-Osidia, drei oder vier Meilen von ihnen entfernt. Die Schar der Reiter verharrte an diesem Aussichtspunkt, und die Königin lenkte ihre Echse neben Eldilion, um gemeinsam mit ihm das weite Land zu überblicken, das sich vor ihnen ausbreitete. Über Car-Osidia stand die Sonne, die ihren höchsten Punkt schon vor Stunden überschritten hatte und nun dem westlichen Horizont entgegenstrebte.
»Es sieht alles ruhig und friedlich aus«, sagte Jeslyn.
»Ja, die Kämpfe sind vorüber«, sagte Eldilion. »Doch ich fürchte, dass die Verluste hoch waren – auf beiden Seiten.«
»Wir werden es erfahren, wenn wir Calidor begegnen. Lasst uns eilen, denn ich sehne mich danach, mit ihm zu reden.«
»Dennoch müssen wir vorsichtig sein. Eine bewaffnete Reiterschar aus dem Osten dürfte einiges Misstrauen erregen.«
Als sie sich Car-Osidia näherten, bot sich ihnen ein beklemmender Anblick. Vor den Mauern der Stadt waren mehrere große Grabhügel angelegt worden, die von der großen Zahl der Gefallenen zeugten. Sie fanden das Tor der Stadt geschlossen, und über die Brustwehr des Torturms hinweg waren mehrere behelmte Köpfe zu sehen. Eldilion ließ die Drachenritter ein Stück entfernt von dem Tor halten, während er vorausritt, nur von Grimstan und Sad Eldon begleitet.
»Wer seid Ihr, und was ist Euer Wunsch?«, fragte einer der Torwächter mit lauter Stimme. An seiner Seite hatten sich Soldaten mit Armbrüsten aufgestellt.
»Eldilion bin ich, Drachenritter aus Car-Tiatha. Wir wünschen, mit dem König zu sprechen.«
»Wir sind im Krieg mit der Stadt, aus der Ihr kommt«, sagte der Wächter, »und es ist mir nicht gestattet, eine bewaffnete Schar durch dieses Tor zu lassen. Doch Ihr dürft alleine und unbewaffnet eintreten, um Eure Sache dem König vorzutragen.«
»Dann will ich dies tun«, sagte Eldilion. »Nur eine Gunst erbitte ich noch. Zwei Damen sind in meiner Begleitung. Wollt Ihr auch ihnen gestatten, die Stadt zu betreten?«
»Das werde ich«, sagte der Wächter.
Eldilion löste seinen Schwertgürtel und reichte ihn Grimstan, der sich damit zurück auf den Weg zu den anderen Reitern machte. Wenig später hatten sich Ylee und die Königin bei Eldilion eingefunden, und das Tor wurde für sie geöffnet.
Erstaunt betrachtete Eldilion das Ausmaß der Zerstörung, das die Stadt getroffen hatte. Die Stadtmauer und das Tor hatten keine Schäden davongetragen, doch ein ganzes Stadtviertel schien den Flammen zum Opfer gefallen zu sein. Ihr Weg führte sie zwischen zerstörten Häusern hindurch, und obwohl seit dem Angriff viele Tage vergangen waren, hing immer noch Brandgeruch in der Luft. Manche Gebäude waren in sich zusammengestürzt, von anderen waren nur verkohlte Gerippe oder steinerne Sockel übrig geblieben. Verbitterte Männer und Frauen arbeiteten in den Trümmern, suchten nach zurückgebliebenen Dingen oder begannen damit, die Schutthaufen abzutragen. Viele Menschen, denen sie in den Straßen begegneten, trugen die Narben und Wunden des Kampfes, manche hatten Verbände um den Kopf oder einen Arm geschlungen.
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